Von Feuerland zur Karibik

Von Feuerland zur Karibik


5. Reisebericht:   San Carlos de Bariloche – Salta (Argentinien)

Nach zweieinhalb Wochen in Bariloche, wovon ich zwei Wochen einen Spanisch-Kurs belegt hatte, wurde ich wieder unruhig und musste weiter. Auch wenn es sehr angenehm ist zu wissen, wo man die nächste Nacht verbringt – wie jetzt in Bariloche – freue ich mich doch immer wieder auf die Ungewissheit bei der Suche nach einem geeigneten Schlafplatz. Allerdings hatte ich bislang immer das Glück, auch bei sehr spät angefangener Suche, einen guten Platz zu finden.

Den weitverzweigten See, Nahuel Huapi, umrundete ich an der Ostseite und war wieder voll in der Pampa, die mich mit Gegenwind, hartem Büschelgras und Weidezäunen an das südliche Patagonien erinnerte. Doch schon nach etwa 15 Kilometer nahm die Vegetation zu und ging in richtigen Wald über. Bald führte die gut ausgebaute Straße an dem langen Nord-West-Arm des Nahuel Huapi heran und begleitete ihn durch fast urwaldähnlichen Wald bis zu dem Touristenort Villa la Angostura. Am nächsten Tag ging es auf der selben Straße anfangs weiter am See entlang. Nach dem Abzweiger zur Grenze nach Chile gab es nur mehr eine sehr schmale Schotter- bzw. Lehmstrasse, die öfter mehr das Aussehen eines Fahrweges denn einer Strasse hatte. Ich fand dies aber sehr reizvoll, weil sie mich mit riesigen, mit Farnen behängten Bäumen, Bambus und Vogelstimmen an die Carretera Austral erinnerte. Außerdem ließ sie sich sehr gut mit dem Rad befahren. An einem fjordähnlichen Nebenarm des Lago Traful schlug ich auf einem wunderschönen Campingplatz mein Zelt für die nächste Nacht auf und wurde morgens von wiehernden Pferden geweckt. Wieder im Sattel ging es gleich zweieinhalb Kilometer den Berg hinauf, wo ich viel Staub schlucken musste, der zwar nur von wenigen Autos aufgewühlte wurde, aber der sich bei der Windstille im dichten Wald einfach nicht absetzte.

Dafür wurde ich aber bald bei der Abfahrt mit bester Asphaltstrasse entschädigt. Langsam änderte sich die Landschaft und statt der großen Bäume kamen nun schöne, langnadelige Kiefern. Vor San Martin de los Andes dann eine herrliche, acht Kilometer lange Abfahrt zum Lago Lacar, der sich wie ein großer Strom um einen Berg nach San Martin hinzieht, während die Strasse zwanzig bis dreißig Meter über den See in den Fels gehauen verläuft. San Martin ist ein relativ großer Touristenort, wunderschön eingerahmt von sanften, bewaldeten Bergen und davorliegend der See. Es gibt hübsche, aus Holz gebaute, oft sehr rustikale Häuser (sogar die Straßenschilder sind aus Holz und mit einfacher Verzierung), mit schönen Geschäften und Restaurants. Mir haben es vor allem die vielen Eisdielen und exquisiten Schokoladenläden angetan. Einfach herrlich!! Im Nachhinein fand ich es sehr schade, dass ich nur eine Nacht dort geblieben bin.

Ein kleines Ärgernis hatte ich hingegen im Internetcafe, in dem ich angeben musste, wie lange ich schreiben wollte. Nach der von mir eingetragenen Stunde nahm mich die junge Frau ohne Vorwarnung vom Bildschirm und mein über zwanzigminütiger Text war futsch. Auf meinem Protest hin wurde mir allerdings zugestanden, nächsten Tag eine halbe Stunde gratis meinen Text neu eingeben zu können. Doch den nächsten Tag fuhr ich bereits weiter in den 60 Kilometer entfernten Ort Junín de los Andes, der bereits wieder in der Pampa liegt, aber durch das grüne Flusstal wie eine Oase wirkte. Hier kaufte ich meine Lebensmittel für die nächste, ortfreie Strecke Richtung Chile und die Besteigung des Vulkans Lanin ein. Die anfängliche Asphaltstrasse ging bald in Schotterstrasse mit "Ruta-Cuarenta-Qualität" über, nur dass die großen Schotterreihen zwischen den Fahrspuren fehlten. Etwa fünf Kilometer bildete schwarzer Lavasand den berüchtigten, "schwimmenden" Belag und die Räder fanden keinen Untergrund. Aber die Landschaft gefiel mir sehr gut. Die Strasse folgte immer einem Tal mit einem kleinen Flüsschen, dessen Ufer mit Weiden bewachsen waren. Rechts und links zogen sich sehr abwechslungsreich Hügelketten dahin, die immer wieder mit kleinen grünen Baumgruppen bedeckt waren. Verstärkt wuchsen nun auch schon die schönen Aurocarien, wofür der Lanin Nationalpark berühmt ist, weil sie nur hier in großer Zahl wild wachsen. Die Aurocarien sind kieferähnliche Nadelbäume, deren weitausladende Äste rundherum mit harten, stacheligen Nadeln besetzt sind und sogar die Stämme Stachel haben. Sie haben eine eigenartige Form und sehen sehr gut aus.

Sehr müde erreichte ich nach einer 70 Kilometer-Fahrt um 19 Uhr den Campingplatz Tromen am gleichnamigen 1.200 Meter hohen Pass, nahe der chilenischen Grenze. Ein Radler aus London, dessen Spur ich schon unterwegs sah, hatte bereits sein Zelt aufgestellt und wollte ebenfalls den Vulkans Lanin besteigen. Am Campingplatz lieh ich mir Steigeisen und Eispickel (Pflicht) und kaufte einen Liter Bier (0,90 €), den ich mit Hochgenuss in mich hineinschüttete. Weil ich an diesem Abend zu müde war, verschob ich die Vorbereitungen auf nächsten Vormittag. Bis ich loskam, war es bereits 12 Uhr. Zuvor musste ich mich bei der Parkverwaltung abmelden und es wurde genau kontrolliert, ob man Steigeisen, Eispickel, Sonnenbrille usw. mit dabei hatte. Nun konnte die Bergtour auf den 3.776 Meter hohen Vulkan losgehen. Eineinhalb bis zwei Tage werden dafür angesetzt. Drei Schutzhütten (auf 2.300, 2.450 und 2.600 Meter) sind auf dem Berg und somit brauchte ich keine Zelt mitzutragen. Bei herrlichem, wolkenlosem Sommerwetter um die 30 Grad, ging es erst durch einen schattigen Wald, bevor ich ein breites Lavafeld am Fuße des Berges zu überqueren hatte. Dann begann der richtige Aufstieg, anfangs am Kamm einer Moräne (es muss hier früher ein Gletscher gewesen sein) und dann in vielen Windungen zwischen großem Lavagestein steil aufwärts. Ein angenehmes Lüftchen vom Tal erleichterte den Aufstieg. Meinen ersten, wahrhaftigen Kolibri sah ich aus nächster Nähe, er hatte meine rote Regenhülle wohl als Blüte angesehen und setzte sich deshalb während einer Rast auf meinem Rucksack. Nach fünfeinhalbe Stunden erreichte ich die Hütte auf 2.600 Meter, wo mich Steward, der Londoner, schon erwartete, der lange vor mir losgegangen war. Wir beide waren die Einzigen auf der höchsten Hütte. Wasser gab es unterwegs keines, aber von den Schneefeldern ab Höhe der zweiten Hütte konnte man mit dem Pickel Schnee heraushauen und zu Wasser einschmelzen oder einfach im Mund zu Wasser machen. Wunderschön war der Ausblick von hier und interessant zu beobachten, wie der Vulkan seinen gleichmäßigen, pyramidenförmigen Schatten in das Tal warf, durch das ich einen Tag zuvor gefahren war. Am nächsten Morgen standen wir um sechs Uhr auf und nach dem Kaffeekochen und -trinken, begann der schwierigere Teil des Aufstieges. Von den anderen Hütten kamen mittlerweile bereits die Leute dazu. Bald mussten die Steigeisen angelegt werden, denn es war steil und das erste Schneefeld knüppelhart gefroren. Ein schönes, sicheres Gefühl ist es mit den Steigeisen! Nach einem größeren, schneefreien Stück mit Lavafelsen und weichem Lavasand wurde es noch steiler und es kam das nächste Schneefeld, welches dann bis zum Gipfel reichte. Inzwischen fing der Schnee schon an zu schmelzen und kleine Bächlein liefen zu Tal, aber auch Steinbrocken kamen von oben, die meist von den Leuten losgetreten wurden. Durch lautes Rufen wurden die unteren Bergsteiger gewarnt. Der Schnee hatte durch die Sonneneinstrahlung eigenartige, stufige Formen und die Gefahr des Abrutschens war nicht mehr so groß. Eher als ich dachte war das Ende erreicht, und ich war auf dem Gipfel, hurra!! Vom Krater war nichts zu sehen, denn der Vulkan ist nicht mehr aktiv und der Krater völlig mit einem Gletscher aufgefüllt, der dann auch den Südhang hinunterfließt. Die Gipfelfläche ist relativ klein, man hat aber einen phantastischen Ausblick. Wunderbar zu sehen waren die Vulkane Tronador (ca. 200 km Luftlinie entfernt), der Osorno im Süden und neben dem Llaima noch weitere im Norden. Der Quetrupillan und der rauchende Villarica in der Nachbarschaft sowieso. Nach gegenseitigem Fotografieren, machten Steward und ich uns an den Abstieg. Nach einem Kaffeestopp auf der Hütte, ging ich alleine weiter, denn Steward blieb dort noch eine Nacht. Nach zehn Minuten schnellem Abstieg stellte ich fest, dass ich meinen Eispickel auf der Hütte gelassen hatte. Fluchen, Rucksack abstellen und wieder den weichen Lavahügel hinauf. Beim weiteren Abstieg brauchte ich nicht mehr die ganzen Windungen auszugehen, sondern ich konnte oft die direkte Falllinie wählen und runterlaufen, was in dem weichen Lavagemisch unwahrscheinlich Spaß machte. Nach Erreichen des Campingplatzes war wieder ein Liter Bier fällig und die erfolgreiche Besteigung bei dem wunderbaren Wetter konnte begossen werden. Die nächsten Tage allerdings konnte ich vor Muskelkater in den Oberschenkeln kaum gerade gehen. Zum Glück waren es hauptsächlich Muskeln, die nicht beim Radfahren beansprucht werden.

Heute ließ ich mir alle Zeit der Welt. Langes Frühstück, das "Bettzeug" gelüftet und die Taschen wieder neu gepackt, fuhr ich erst am frühen Nachmittag los. Nach zwei Kilometer war die argentinische Grenzabfertigung erreicht und bald darauf war ich zum dritten Mal wieder in Chile. Wunderbare Aurocarienwälder und dahinter der mächtige Lanin standen im Wettstreit der Fotomotive. Der Pass Tromen, der in Chile Mamuil Malal heißt, ist von argentinischer Seite kaum zu merken, weil schon Junin auf etwa 900 Meter liegt und sich die restlichen 300 Höhenmeter auf 70 Kilometer gleichmäßig verteilen. Jedoch auf chilenischer Seite geht es tief in ein sehr schönes, enges Tal hinab. Die chilenische Schotterpiste stand der schlechten Argentinischen allerdings in nichts nach. Trotz aller Vorsicht und ganz langsamer Abfahrt stürzte ich. Zum Glück passierte außer einigen Abschürfungen, einigen kleinen Blutergüssen und ein Stück herausgerissener Haut aus dem Handballen nichts weiter. Ich muss wohl in ein Sandloch gekommen sein und durch einen Stein wurde der Lenker herumgerissen. Achtzehn Kilometer nach der argentinischen, erfolgte problemlos die chilenische Grenzabfertigung, bei der zum ersten Mal auch mein Fahrrad registriert wurde. Bald darauf konnte ich im Gastgarten eines Gasthofes mein Zelt neben einem rauschenden Gebirgsbach aufstellen. Das Tal war wunderschön, mit steilen, grünen Berghängen, zwischen denen sich ab und zu wieder der schneebedeckte Lanin zeigte. Die Asphaltstrasse kam früher als erwartet, und damit waren für lange Zeit die Schotterstrassen passé. Nun war ich im chilenischem Seengebiet und hatte unbemerkt das so extrem abwechslungsreiche Patagonien, dass ich gerade deshalb lieben gelernt habe, verlassen. Die Landschaft erinnerte mich stark an Kärnten, nur der rauchende 2.841 Meter hohe Vulkan Villarrica passte nicht ins Bild. Pucón, an der Ostseite des Lago Villarica, war mein nächstes Ziel und dort der wunderschöne Campingplatz, wo ich gleich wieder auf Steward traf. Morgens wurde man hier von den vielen, krähenden Zwerghähnen geweckt. Pucón ist auch wieder ein begehrter Touristenort, nur merkte man an der Anzahl der Gäste, dass die Saison zu Ende war. Nach zwei Nächten fuhr ich nachmittags in das 25 Kilometer weiter entfernte Villarica, welches an der Westseite des gleichnamigen Sees liegt. Hier wollte ich eigentlich ein paar Tage bleiben, doch mir schien diese Kleinstadt ziemlich trist. So entschloss ich mich, gleich nächsten Morgen weiter zu fahren, obwohl die Herberge (La Torre Suica) von einem Schweizer Paar, das Mitte der 90-er Jahre selbst für zweieinhalb Jahren mit dem Fahrrad unterwegs war, geführt wurde und eine sehr angenehme Atmosphäre hatte. Nun steuerte ich Temuco an, auf der guten Strasse ging es zügig voran und die Landschaft, die an mir vorbeizog, ließ mich denken, ich fahre von Hamburg nach Bad Segeberg. Leicht wellig, mit den dort üblichen Knicks und schwarz-weißen Kühen. Nach 60 Kilometern erreichte ich Freire und es begann die Phase der Autobahnfahrten. Noch 25 Kilometer bis Temuco, doch diese laute, große Stadt (240.000 EW) verließ ich bereits nächsten Morgen wieder, um nun so schnell wie möglich die 700 Kilometer Autobahn nach Santiago de Chile hinter mich zu bringen.

Nach der trockenen und stürmischen Ruta Cuarenta, der wasserreichen Carretera Austral und der schönen Berg- und Seenlandschaft mit den vielen Vulkanen, nun als ein weiterer Kontrast die Autobahnfahrt. Ohne "Geschwindigkeitsbegrenzung" konnte ich mit einem Tagesschnitt von 117 km einen großen Sprung Richtung Norden machen. Da es keine Alternativen zur Autobahn gibt, ist es auch Radlern, Fußgängern, Reitern usw. erlaubt, die Autobahn zu benutzen. Die meisten Fernradler überbrücken diese Strecke allerdings per Autobus. Ich fand allerdings die offizielle erlaubte Autobahnfahrt mit dem Rad durchaus reizvoll! Geschlafen habe ich einmal innerhalb einer Abfahrt zwischen kleinen Baumgruppen. Weil die Autobahn etwas tiefer lag, war der Lärm nicht so stark, die vielen Holzlastwagen allerdings, die auf dieser Abfahrt etwa 20 Meter hinter meinem Zelt vorbeifuhren, störten ganz schön meinen Schlaf. Für die nächste Nacht fand ich ein Loch im Zaun (auch hier überall die Weidezäune) und ich konnte mein Zelt in der angrenzenden Kiefernschonung aufbauen, der Lärm der Autobahn war jedoch zuviel. Die dritte Nacht nahm ich mehr Abstand und in zwei Kilometer Entfernung bot mir ein Bauer an, auf dem abgeernteten Getreidefeld mein Zelt aufzustellen und mir vom Nachbarfeld, wo die Tomatenernte im Gange war, mir so viele Tomaten zu holen, wie ich möchte. Da hat sich der hungrige Radlermagen aber gefreut &ndash auch die Tage danach noch. Allerdings hätte ich nächsten Morgen beinahe im Wasser gesessen. Ein Entwässerungskanal, der unmittelbar am Zelt vorbei führte, hatte am Verteiler Gestrüpp angesammelt und den Kanal zum Überlaufen gebracht. Nachdem ich das Gestrüpp entfernte, konnte das Wasser wieder ablaufen und ich im Trockenen frühstücken.

Lästig während meiner Autobahnfahrt war es, viermalig einen Platten zu haben, zweimal gleich mit mehreren Löchern. Mal war es eine Schraube, dann eine Kistenklammer und das nächste Mal ein Dorn. Da alle meine Reserveschläuche aufgebraucht waren, musste ich zum Finden der Löcher doch sehr viel Zeit aufwenden.

Unmittelbar vor Santiago musste ich, auf Grund einer Baustelle von der Autobahn runter und ‑ eingeklemmt zwischen den stinkenden Bussen und Taxen ‑ über Vorstädte immer die Hauptstrasse mit ihren Asphaltverwerfungen und Löchern in das Zentrum fahren. Das machte mich richtig kaputt! Überhaupt, ich habe noch nirgends so viele Busse gesehen wie in Santiago. Durch fast jede zweite oder dritte Strasse fahren sie wie im Pulk. Einmal zählte ich um 22.30 abends die Busse, die in eine Richtung fuhren, innerhalb einer Ampelphase waren es durchschnittlich 17 Busse! Dies, obwohl parallel dazu die Metro fährt.

Die Autobahn in Chile ist eigentlich genauso wie bei uns, ohne Geschwindigkeitsbeschränkung, mit Mittelstreifen und Standspur. Die Standspur ist allerdings auch für Fußgänger, Radfahrer oder Reiter u.ä. Die ersten etwa 130 km war der Seitenstreifen auch mit dem gleichen, feinen Belag wie die Fahrbahn versehen, während danach meist der letzte Belag fehlte und ich auf dem 2.Klasse Rauhbelag fahren musste, der einen erheblich größeren Rollwiderstand hat. Wenn es ging, fuhr ich dann auch auf der Fahrbahn, denn der Verkehr ist nicht so stark wie bei uns auf den Autobahnen. Je weiter ich allerdings nach Norden kam, um so mehr nahm auch der Verkehr zu. Die Auf- bzw. Abfahrten sind ganz großzügig ausgebaut &ndash und alle beleuchtet &ndash aber oft geht die Abfahrt direkt in eine Schotterstrasse über. Allerdings gibt es auch einfache Einmündungen von kleinen Schotterstrassen oder Feldwegen. Auch das Wenden ist zum Teil möglich und Bushaltestellen an den Auf- bzw. Abfahrten sind üblich. Unmittelbar neben dem Seitenstreifen waren oft Buden mit Obst und Gemüse oder Sonstigem aufgebaut, es gab auch Restaurants neben der Fahrbahn und die Autofahrer konnten jederzeit halten. Auch das Überqueren der Fahrbahn ist nicht verboten. Man muss dann allerdings über die Mittelleitblanken und Wassergraben turnen. In Vororten haben die Häuser bzw. Hütten oft ihren Zugang direkt von der Autobahn.

Außer den Besonderheiten der Autobahn fand ich die Veränderung der Vegetation sehr interessant. In Temuco sah ich die ersten Palmen, dann mit jeden Tag mehr Feigenbäume, Dattelpalmen, Bananen, Kakteenfrüchte, Gummibäume, Agaven und Bouganville. Auch große Wälder mit Eukalyptusbäumen und die riesigen Weinfelder darf ich nicht vergessen. Der sogenannte "Kleine Süden"&, ein z.T. sehr breites Längstal, welches im Osten von den Anden und im Westen von der Küstenkordillere begrenzt wird, ist Chiles Versorgungsgebiet Nr. 1. Zweimal stoßen die beiden Gebirgszüge fast zusammen, beide, die Anden und die Küstenkordillere, werden von Süden her immer höher.

Fünfeinhalb Tage war ich in Santiago. Ich fand ein Privatzimmer im vierten Stock, direkt in der Innenstadt mit Blick auf das Seitenportal der Kathedrale und auf die Plaza mit vielen Palmen. Drei Zimmer hatte die Vermieterin, da sie alle vermietet waren, schlief sie selbst, eingehüllt in eine Decke, vor der Wohnungstür und man musste nachts acht geben, nicht über sie zu stolpern. Die Innenstadt Santiagos fand ich mit ihren vielen schönen Fußgängerstrassen und Passagen sehr ansprechend. Verwundert war ich, dass fast alle Geschäfte bereits um acht Uhr morgens und die vielen Lokale nur bis elf Uhr abends geöffnet hatten. Aufgefallen sind mir Cafés, die sehr nüchtern und mit langen, gewundenen, einem guten Meter hohen Tresen ausgestattet waren. Dahinter servierten hübsche Frauen in hautengen Kleidchen oder Röckchen, die kaum den Schritt bedecken, Kaffee. Tagsüber und verstärkt nach Geschäftsschluss breiteten Privatleute in den Fußgängerstrassen und Plätzen verschiedene Sachen aus, um sie zu verkaufen. Es gab auch viele Bettler, einige total heruntergekommen, andere verkrüppelt. Unter meinem Balkon backten Leute bis in die frühen Morgenstunden in einer fahrbaren Friteuse kleine Fettgebäcke und verkauften Suppe oder Kaffee. Hauseingänge und die meisten Geschäfte wurden nachts mit einer schweren Gittertür verschlossen und von uniformiertem Wachpersonal bewacht.

Von Santiago ging es weiter in die 120 Kilometer entfernte Hafenstadt Valparaiso. Über die breite O′Higgins Avenue ging es direkt auf eine sechsspurige Autobahn. Einen Tunnel, den ich passieren musste, durfte ich nicht mit dem Rad durchfahren. Drei einheimische Radler, die davor standen, bekräftigten dass Verbot. Einer fuhr zur Rufsäule und rief den Autobahndienst, der einige Minuten später mit einem Kleinlaster kam, um mich und Rad durch den etwa vier Kilometer langen Tunnel zu bringen – und das kostenlos. Wie ich später auf der anderen Seite sah, wurde diese Information auf einer großen Tafel über der Autobahn in Leuchtschrift angekündigt.

Mein Hinterreifen machte mir mit einem Höhenschlag, den ich seit dem letzten Platten hatte, und trotz zweimaliger Neumontage nicht weg bekam, Probleme. Bei einer näheren Kontrolle stellte ich fest, es lag nicht an der Montage, sondern das Gewebe, des in Bariloche gekauften Reifens, war defekt. Ich hoffte, er würde bis Valparaiso halten, aber ein weiterer Platten machte diese Hoffnung zunichte und ich musste den Reservereifen aufziehen.

Unterwegs hielt ein deutscher Motorradfahrer, Steffen, um mich nach dem Woher und Wohin zu befragen und erzählte, dass er in Valparaiso in der Pension Villa Kunterbunt wohne. Diese Adresse hatte ich bereits und sie steht auch im Südamerika Handbuch. Zwar hatte ich vor, eine Pension in der Unterstadt anzufahren, nun aber fuhr ich nach Einbruch der Dunkelheit doch noch die z.T. sehr steile Strecke zur Villa Kunterbunt hinauf. Dort angekommen, wurde ich herzlich empfangen, denn die Polizisten, die ich nach der Strasse fragte, hatten mich bereits angekündigt. Im Hof saßen beim umfangreichen Abendessen die Gastgeber Martina (aus Köln) und Enzo, die Motorradfahrer Steffen und Thomas und deren Freundinnen, sowie Mario aus Kassel, den ich bereits in Perito Moreno einmal getroffen hatte. Für alle war hier der Urlaub zu Ende und sie wollten einen Tag später von Santiago aus nach Hause fliegen. Ich klinkte mich beim Essen ein und bei Bier, Wein und offenem Feuer war es ein wunderschöner Abend. Nächsten Tag kam ein weiterer Motorradfahrer aus Neuseeland und Oliver, ein Trecker aus Deutschland dazu, die alle ihre Reise hier beendeten. Das Haus erinnerte wirklich an die Film-Villa und vor allem im Hof war alles richtig romantisch ein bisschen durcheinander. Wenn man Glück hat und das Turmzimmer mit Rundumblick bekommt, hat man einen phantastischen Überblick über die wie ein Amphitheater angelegte Stadt und die Meeresbucht.

Martina und Enzo waren vorzügliche Gastgeber. Es gab ein tolles Frühstück, wollte man ein Ei, kein Problem, sollte es gebraten und mit Speck sein? Andere Sonderwünsche? Machen wir, klar. Kaffee am Nachmittag? Steht alles bereit. Ich hatte schon viele schöne Quartiere und nette Vermieter, aber so wohl wie in der Villa Kunterbunt habe ich mich noch nirgends gefühlt. Natürlich war mit den anderen Gästen auch die richtige Mischung beisammen.

Nach zwei Tagen Valparaiso verließ ich die Stadt und mein nächstes Etappenziel war La Serena, 430 Kilometer nördlich. Nachdem in Valparaiso kein Reifen zu bekommen war, bekam ich zumindest den Hinweis auf ein Fahrradgeschäft in der Nachbarstadt Viña de Mar. Hier bekam ich wirklich einen guten Reifen von Michelin und der Laden war auch sonst bestens mit hochwertigen Ersatzteilen ausgestattet. Kunststoffeinlagen für meine Reifen konnte man mir auch verkaufen, damit hoffentlich die Plattenserie mal aufhört. Weiter ging es an der schönen, kurvenreichen Küstenstrasse, und ich genoss es, nun direkt am Pazifischen Ozean zu sein. Indirekt hatte ich ja schon in Puerto Natales und an der Carretera Austral in Form von Fjorden Kontakt mit ihm. Für die Nacht konnte ich mein Zelt vor dem Haus Marcelos, eines Architekten, aufstellen, der ab Mai mit einem Freund ebenfalls eine große Radtour, aber durch Europa, machen will. Das Haus war extravagant und ich glaube, es gab keinen einzigen rechten Winkel. Morgens beim Aufrollen meines Zeltes hatte ich eine Überraschung in Form eines kleinen Skorpions, der mir entgegenfiel und sich wohl zwischen der Plastikunterlage und dem Zeltboden aufgehalten hatte. Als weitere Überraschung musste ich nun immer mit Küstennebel rechnen, wie mir Marcelo sagte.

Die Strasse führte nun allerdings mehr von der Küste weg und nach etwa 100 Kilometern stieß ich auf die Autobahn Santiago &ndash La Serena. Die ersten zehn Kilometer waren schnell und bequem abgestrampelt, dann aber begann das Auf und Ab. Bald jedoch fand ich ein zu öffnendes Tor im Zaun entlang der Autobahn und konnte mein Zelt in einem lockeren Eukalyptuswald mit hohen Magaritengestrüpp unter einem im Nebel tropfenden Eukalyptusbaum aufstellen. Durch eine kleine Bodenwelle war der Autobahnlärm sehr gedämpft und ich habe sehr, sehr gut geschlafen.

Eigentlich hatte ich zwischen Santiago und La Serena ein ebenso fruchtbares und relativ flaches Tal wie südlich von Santiago erwartet, aber es war sehr hügelig, meist kahl und auf weite Strecken unbewohnt. Somit war auch die Versorgung schwieriger. Den nächsten Tag hatte ich Höhenunterschiede bis zu 300 Metern zu bewältigen, allerdings ging es nie über 9 % Steigung hinaus und die Autobahn war fast neu und in sehr gutem Zustand. Sogar der Seitenstreifen hatte Feinasphalt. Auf etwa 60 Kilometern waren alle 10 Kilometer Ausfahrten, die keinen Straßenanschluss hatten, sondern allein den Zweck dienten, wenden zu können. Nachdem ich schon lange Ausschau nach einem Schlafplatz hielt, kam ich kurz vor Einbruch der Dunkelheit an eine Ausfahrt, die nur zu einer kleinen Wallfahrtskirche neben der Autobahn führte. Dort fragte ich den Pfarrer, ob ich mein Zelt auf dem Gelände aufstellen dürfte und er bot mir an, in der Kirche zu übernachten. Es war sehr sauber und ich konnte meine Schlafmatte und Schlafsack gleich auf den Boden ausbreiten. Auch kochen durfte ich in dem Gotteshaus.

Am nächsten Tag fragte ich schon recht früh bei einem Restaurant, ob ich mein Zelt aufstellen dürfte. Ich durfte es hinter einem Schuppen aufstellen und hing meine Wäsche zum Lüften auf die dort angebrachte Leine. Als ich vom Abendessen im Restaurant zurück kam, war diese durch die enorm hohe Luftfeuchtigkeit total nass und trocknete auch im Zelt nicht mehr. Spät abends kam dann der Nebel von Küste und es wehte ein starker Wind. Drei Hunde verbellten nachts immer wieder mein Zelt und als ich mal raus musste, hatte ich Glück, dass sie wohl schliefen. Am nächsten Tag hatte ich eine leichtere Fahrt, da auch flache Strecken dabei waren und so kam ich bereits bei Dunkelheit in La Serena an. Auf den ersten Blick machte die Stadt mit ihren vielen Bauten im Kolonialstil gleich einen guten Eindruck.

Nach nun insgesamt 4.720 Kilometer Fahrtstrecke hatte ich ca. 2.300 km Schotterstrassen, 1.150 km Autobahn ‑ welch ein Kontrast ‑ und 1.270 km andere Strassen überwunden.

Ursprünglich wollte ich in La Serena ein paar Tage bleiben, doch auf Grund der geschlossenen Wolkendecke und Temperaturen von nur 14 bis 17 Grad, verließ ich die Stadt bereits nach der zweiten Nacht wieder, um weiter im Landesinneren auf Sonne zu hoffen. Mein Erholungsziel vor der Pass-Fahrt von Chile nach Argentinien war der kleine Weinort Pisco Elqui, 20 Kilometer von der Hauptstrasse und 100 Kilometer von La Serena, der mir mehrfach empfohlen wurde. Allerdings musste ich dafür 450 Höhenmeter extra bewältigen. Hier in dem Elqui-Tal wird die Traube für Chiles besten Pisco geerntet. Pisco ist ähnlich wie Grappa, nur dass dieser aus den ganzen Trauben gewonnen wird und nicht nur aus den ausgepressten Schalen. Er schmeckt prickelnd gut! Drei Tage verbrachte ich in einer sehr schönen Pension, die einer Deutschen gehört und faulenzte ausgiebig in der Hängematte.

Am Sonntag, 06.04.03 war der Start auf den 4.776 Meter hohen Pass Agua Negra, der die Grenze zwischen Chile und Argentinien bildet. Die 20 Kilometer und 450 Höhenmeter von Pisco Elqui bergab waren ja wunderschön, doch dann ging es ständig aufwärts. Anfangs noch auf Asphalt, doch bald war es wieder Schotter. Kakteen‑bewachsene Berge begleiteten das Tal und der kleine Fluss Rio Turbio kam mir schnell entgegen. Er hatte eine wunderschöne grün-milchige Farbe und ein paar Fußbäder bei der Hitze waren eine Wohltat. Gegen 16:00 Uhr sah ich den Hinweis, nur noch 20 Kilometer zur Grenzabfertigung in Juntas auf 2.080 Meter und entschloss mich, bis dorthin noch zu fahren. Es waren dann aber verdammt lange Kilometer und das Gebäude wollte sich einfach nicht zeigen. Es dämmerte bereits, als ich das zu meiner Überraschung riesige Abfertigungsgebäude erreichte und ich fragte, ob ich dort schlafen könnte. Ich bekam sogar ein richtiges Zimmer, zwar mit gebrauchter Bettwäsche, aber für solche Fälle habe ich ja den Schlafsack. Am nächsten Morgen sah ich, wie das grüne Wasser des Rio Turbio zustande kommt. Vom Pass kommt der Rio Claro mit klarem Wasser und aus Richtung Norden kommt ein fast schwefelgelbes Wasser von den Minen. Ich war sehr froh, dass ich am Nachmittag zuvor nicht an dem Flüsschen gezeltet hatte, denn sicherlich hätte ich mein Wasser daraus aufbereitet.

Nach dem Frühstück und dem Grenzformalitäten ging es jetzt auf die einsame Passtour. 84 Kilometer vom Pass ist die chilenische und 90 Kilometer die argentinische Grenzabfertigung entfernt. Ich merkte bald, dass ich mich am Tage zuvor etwas übernommen hatte, denn ich war sehr müde und schlug dann auch nach 30 Kilometer auf 2.890 Meter mein Zelt auf. Etwas mulmig war mir schon, denn es stand nicht weit von einem sehr bröckelig aussehenden Felsberg. Eigenartig war es dann am späten Abend, als ich so ganz allein zwischen den hohen, kahlen Bergen stand, die auf der Gegenseite schwach von dem Halbmond beschienen wurden.

Am nächsten Morgen musste ich als erstes eine kräftige Steigung überwinden, bevor sich die schmale Schotterstrasse in unterschiedlicher Höhe am Stausee entlang schlängelte. Hier zeigten sich die Berge in einer phantastischen Farbenvielfalt von schwarz, grau, grün, violett, ocker, gelb, und weiß und vor allem in sämtlichen Rottönen. Manchmal in pastelligen Abstufungen, oft aber auch ohne Übergang von einer Farbe zur anderen. Am Ende des Stausees liegt ein breites Schotterschwemmfeld in rot-lila und dazwischen das Flüsschen Rio Claro. Nach einer weiteren Steilpassage an Geröllhängen ging es durch ein Tal wieder etwas gemütlicher weiter. Hier lag im Talboden ein ganzes Feld von Steinen in unterschiedlichen Farben und es sah aus wie eine Miniaturausgabe der umliegenden Berge. Im Schatten der Berge wurde es nun schon unangenehm kalt und ich stellte mein Zelt in 3.670 Meter Höhe, hinter einer windgeschützten Stelle in der Nähe eines Baches auf, dessen Ränder schon mit Eis versehen waren.

Nächsten Tag meinte ich eigentlich, den Pass zu erreichen und ich kam auch gut vorwärts. Doch als es auf die etwa letzten 12 Kilometer ging, wurde die Strasse zunehmend schlechter. Ich fand es nicht sinnvoll, mich noch hinauf zu quälen, da ich vielleicht erst am Abend oben ankommen würde und dort das Zelten wegen des Windes und des steinigen Bodens fast unmöglich ist. Ich entschied mich, acht Kilometer vor der Passhöhe am Ende eines langen Tales noch zu übernachten und morgens mit frischen Kräften den Endspurt anzugehen. Auf einem Geröllfeld mit stellenweise Schwemmsand fand ich ein Plätzchen und auch den Wind konnte ich gut berechnen. Der Unterschied aber zwischen Sonne und Schatten ist enorm und ich war durchgefroren, als ich das Zelt aufgestellt und die Heringe mit großen Steinen beschwert hatte. Als ich mir dann im Zelt warmes Zeug anzog, erfasste eine Windbö oder Windhose mein Zelt, dass ich dachte, das Gestänge bricht zusammen. Von innen hielt ich das Stangenkreuz krampfhaft fest und nach höchstens einer Minute war der Spuck vorbei und kam auch nicht wieder. Etwa 150 Meter unterhalb meines Platzes konnte ich Wasser fassen &ndash das letzte für die nächsten 20 Kilometer. Hier kam es noch eisfrei unter dem Geröllfeld hervor, nach bereits 20 Metern weiter war es mit einer starken Eisschicht bedeckt, die sich auch am Tage nicht mehr auflöste. Dies war auf 4.330 Meter und ich hatte morgens minus 3 Grad Celsius im Zelt (draußen minus 8) und das angefrorene Wasser war nur mit Mühe aus dem Wassersack und Trinkflaschen zu bekommen. Ich wusste, dass es sehr lange dauern wird, bevor die Sonne über den hohen Berg kommen würde und so musste ich warm verpackt und mit Handschuhen mein Frühstück (Grießbrei und Kaffee) kochen. Sobald jedoch die Sonne über dem Berg erschien, konnte ich wieder im kurzen Fahrradhemd laufen. Ich war doch froh, noch eine Nacht vor dem Pass geschlafen zu haben, denn so war ich frisch und ausgeruht. Besonders anstrengend sind immer die steileren Passagen, bei denen der Untergrund richtig aufgewühlt ist und ein Fahren unmöglich wird. Das Schieben ist aber fast noch schwerer, da man durch die Packtaschen das Rad immer etwas schräg hält und es im Schotter immer wieder weg rutscht.

Die ersten Schneefelder passierte ich und durch die Sonneneinstrahlung haben diese eine eigenartige, zackige Form. Ich wurde jetzt richtig euphorisch, was große Kräfte freisetzte, und so packte ich die letzten Kilometer mit Hurra! Auf dem Pass, auf 4.776 Meter nach drei Stunden angekommen (ich konnte immer noch in kurzen Ärmeln gehen), waren zwei verrostete Schilder von Chile und Argentinien, ein Denkmal von Chiles Dichterin und Nobelpreisträgerin Gabriela Mistral aus dem Elqui Tal und einige andere Steine mit Gedenktafeln. Nach ausgiebigen Rundumblicken und Fotografieren der farbenprächtigen Berge und Gletscher, ging es auf der argentinischen Seite ebenfalls in eine bunte Bergwelt hinunter. In großen Schleifen windet sich die Strasse in drei Etagen den langen, steilen Berghang in das Tal des Agua Negra hinunter und ich musste besonders vorsichtig sein, denn auch hier gab es keinerlei Sicherungen. Auf 3.970 Meter habe ich übernachtet. Es war nicht mehr ganz so kalt wie die Nacht zuvor, aber mit Null Grad im Zelt war es auch nicht gerade mollig. Erst mittags setzte ich meine Abfahrt fort und kam bei den schlechten Straßenverhältnissen nur langsam vorwärts. Wie schon bei der Auffahrt, wechselten auch hier die Erd- und Felsfarben ständig. Für längere Zeit führte die Strasse durch ein sehr enges Tal mit vielen Serpentinen und der Bach Agua Negra begleitete die Strasse. Weil der Talboden grün war, hatte ich das Gefühl, einen Wildbach in den Alpen zu haben. Irgendwann kam ich auf Asphalt, doch die Freude war nur kurz, denn es waren auf etwa 30 Kilometer nur noch Fragmente einer früheren Teerstrasse. Aber 36 Kilometer vor dem Grenzort Las Flores (hier war ein Polizeiposten mit Vorkontrolle) gab es dann richtige Asphaltstrasse und es rollte sich gleich ganz anders. Es war schön, langsam wieder in wärmere Zonen zu kommen und grünes Buschwerk zu sehen. Das Grenzabfertigungsgebäude in Argentinien war wesentlich bescheidener als in Chile und auch meine vierte Einreise ging problemlos über die Bühne. Insgesamt begegneten mir in diesen fünf Tagen zwischen den beiden Zollgebäuden nur zwölf Autos, wovon nur sechs über den Pass gefahren sind. Ein paar Kilometer hinter Las Flores gönnte ich mir jetzt zweieinhalb Tage Entspannung in einem schönen Thermal-Hotel mit Vollpension. Hier wog ich nochmals meine komplette Ausrüstung inklusive Fahrrad und restlichem Lebensmittelvorrat, es waren insgesamt 65 kg.

Jetzt stand die nächste, gut 1.000 km Etappe nach Salta an, die mich zunächst durch eine zum Teil tolle Wild-West Landschaft nach San José de Jáchal führte. Gerade hatte ich mich in ein Hotel einquartiert, als ich drei Radler traf, die ich natürlich sofort ansprach. Es waren Andrea und Peter auf einem Tandem mit Anhänger, die schon seit eineinhalb Jahren unterwegs sind und Andrea als "Gast" auf einem Einzelrad, die die Strecke von Salta bis San Juan in ihrem Urlaub mitradelte. Zwei Nächte blieben sie im selben Hotel und wir verstanden uns bestens. Wir gingen zusammen zum improvisiertes Essen im unbedachten Hof und es war besonders gemütlich. Ich war richtig traurig, als sie wieder abfuhren, es auf dem Hotelgang so ruhig war und mein Rad so alleine an dem Pfahl gebunden da stand. Schade, dass wir nicht die gleiche Richtung hatten. Es war auf jeden Fall sehr schön. Ich blieb noch einen Tag länger, um an diesem Bericht zu schreiben. Da es nur an bestimmten Tagen Internetzugang gab, konnte ich den Bericht nicht abschicken. Da auch der Drucker defekt war, speicherte ihn auf Diskette. Am Karfreitag setzte auch ich meine Reise fort und war drei Tage später in Chilesito. Ich fuhr wieder durch schier unendliche Weiten, die mich nach wie vor faszinieren und die immer wieder von Gebirgszügen in Nord-Süd Richtung begleitet werden. Dabei war auch der 6.400 Meter hohe Famatina bei Chilesito, den ich fast eine Woche im Blickfeld hatte. Am Fuße der Berghänge findet sich leicht und gleichmäßig abfallendes Schwemmland mit Geröll und Dornenbüschen, durchkreuzt von zur Zeit ausgetrockneten Bächen.

Chilesito erreichte ich nach einer herrlichen Abfahrt von ca. 1.000 Höhenmetern am Ostersonntag Abend. Als ich hier meinen Text fertig schreiben wollte, war dieser nicht mehr auf der Diskette, genauso wie andere, die ich seit Santiago gespeichert hatte. Ich hatte hierfür keine Erklärung, den bevor ich in San José de Jáchal den Rechner ausgeschaltet hatte, hatte ich noch geprüft, ob alle Dateien auf der Diskette waren. Oje, die ganze Arbeit. Meine große Hoffnung war nun, dass der Text noch auf der Festplatte des Internetcafes abgelegt wäre, denn dort hatte ich ihn zwischengespeichert. Mit Hilfe der Touristen-Info versuchte ich erst mal diesen Laden in Jáchal ausfindig zu machen (ich hatte weder Adresse noch Telefonnummer), das war schon einmal sehr problematisch, da sie der dortigen Touristen-Information das Telefon gekappt hatten. Nachdem doch eine Telefonverbindung zustande kam, konnte man sich auch noch an mich erinnern, da jedoch Siesta war, wollte man später nachschauen und mich zurückrufen. Doch es tat sich nichts und erst am späten Abend bekamen wir sie wieder ans Telefon. Nun musste ausgerechnet dieser Rechner neu konfiguriert werden und wir wurden auf nächsten Morgen vertröstet. Ich glaubte schon nicht mehr daran, aber oh Wunder, am Vormittag überspielten sie den Text und ich war happy. Eineinhalb Tage hat das Ganze gedauert.

Am frühen Nachmittag des selben Tages radelte ich weiter und fand glücklicherweise im nächsten, 70 Kilometer entfernten Dorf eine Übernachtungsmöglichkeit. Für eine Übernachtung im Gelände hätte ich keinen Wasservorrat gehabt. Nirgends sonst sah ich soviel Müll an der Strasse wie auf den ersten 20 Kilometern hinter Chilesito, trotz eines großes Verbotsschildes. Mehrmals waren richtige Wege in das Gebüsch geschlagen und rechts und links häufte sich der Müll. Die Büsche sahen fast aus wie dekorierte Weihnachtsbäume mit ihren vom Wind verwehten und aufgeblähten bunten Plastiktüten. Ansonsten setzte sich die Landschaft mit ihren unendlich weiten Ebenen in den nächsten Tagen fort. Die Ruta Cuarenta (Nationalstrasse 40), auf der ich seit Jáchal schon wieder fuhr, war hier die "echte", legendäre Ruta Cuarenta, die so manchen alten Globetrotter feuchte Augen bekommen lässt. Bereits 1869 wurde ein erster Abschnitt dieser Straße mit vielen Serpentinen in der Provinz Catamarca im Norden Argentiniens fertiggestellt, die numerische Bezeichnung der Nationalstraßen erfolgte nach dem Vorbild der USA 1935. Sie führt von der Atlantikküste bei Rio Gallegos in Patagonien erst durch die patagonische Steppe und dann meist am Andenrand bzw. zwischen dem Vorgebirge Richtung Norden und mündet kurz vor der bolivianischen Grenze auf über 3500 Meter Höhe in die Ruta 9. Mit 4667 Kilometern ist die Ruta Cuarenta die längste Straße Argentiniens und entspricht der Entfernung von Dänemark nach Südmarokko. Sie ist hier hinter Chilecito zwar schwer zu fahren, da sie sehr sandig ist, aber irgendwie hat sie doch ihren Charme und erinnert an Pionierzeiten. Sie macht den Eindruck, als wären beim Bau nur die Büsche weggehackt, der Boden etwas aufgekratzt und ein paar zusätzliche Steine untergemischt worden. Sie passt sich fast genau dem sehr abwechslungsreichen Gelände an und manchmal kam ich mir vor wie in der Achterbahn. In den Dörfern war meist kaum eine Abgrenzung zwischen der Straße und dem übrigen Sand‑ oder Erdboden erkennbar. Selbst die uralten, zum Teil völlig verrosteten und unleserlichen Hinweis-Schilder standen noch da. Auf einem halbwegs leserlichen Schild konnte ich etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang lesen, dass es bis San Fernando nur noch 16 Kilometer wären. Das wollte ich nun noch erreichen, denn ich vermutete dort eine Hospedaje (billige, einfache Unterkunft) und legte mich ins Zeug. Nach 80 Minuten und kurz vor der Dämmerung erreichte ich das kleine Dorf, doch es gab keine Hospedaje und selbst Polizei und Pfarrhaus waren verschlossen. Bei zwei Häusern fragte ich, ob ich auf ihren Grundstücken zelten könnte, sie wollten aber nicht, gaben mir jedoch den Hinweis, auf dem Gelände der im Rohbau fertigen neuen Kirche zu zelten. Dies tat ich dann auch, öffnete das simpel mit Draht zugebundene Zauntor (hätte ich mich sonst unter den Augen der Dorfbewohner nicht getraut) und stellte das Zelt am Portal auf den Zementboden mit Blick auf das Dorf.

Das Dorf lag im Flusstal und morgens herrschte dichter Nebel. Die Strasse kletterte jedoch immer in den angrenzenden Hügeln herum und somit war ich auch bald wieder aus dem Nebel heraus. Zweimal an diesem Tag musste ich echte Wasserfurten kreuzen. Bei der ersten blieb ich fast stecken, da ich den Sand unter dem Wasser nicht berücksichtigt hatte, doch bei der zweiten hatte das Wasser eine schnellere Fliessgeschwindigkeit und nahm den Sand mit. Auch viele schwere Tank- und Lastzüge befahren diese Strecke, um Material zu oder von der in den Bergen liegenden großen Mine zu bringen. Diese nehmen mit ihren vielen Reifen auch viel Sand aus den Furten und häufen ihn dahinter auf. Am Nachmittag wurde die Etappe dann schwieriger, denn es ging fast ständig bergan mit ungeliebten kleinen Zwischenabfahrten, die auf der anderen Seite meist doppelt wieder hochgefahren werden müssen. Die Waschbrett-Rüttelpiste brachte mir den Magen fast bis zum Hals, alternativ gab es jedoch nur eine Sandspur am Pistenrand. Und der Bergrücken dehnte sich endlos. Ich hatte zwei Angaben über die Länge der Schotterstrasse, eine von einem Polizisten mit 80 Kilometer und eine von einem Kaufmann, die ich schon mehr als 15 Kilometer überschritten hatte. Nach gut 80 Kilometern hoffte ich, das diese erste Angabe stimmen würde und wirklich, auf einmal sah ich hundert Meter vor mir die neue, heiß ersehnte Asphaltstrasse. Da musste ich laut jauchzen, es war zu schön! Auf 2.350 Meter war ich, ein paar Kilometer wollte ich die gute Strasse noch genießen, und dann begann ich mich unter den ungläubigen Blicken einer kleineren Eselherde für die Nacht einzurichten.

Am nächsten Morgen reinigte und ölte ich erst einmal die Kette, die Schaltung und die Bremsen, bevor es voller Freude auf die nun vor mir liegende leichte Strecke ging. Diese konnte ich auf 35 Kilometer bereits einsehen, denn ich hatte wieder eine Ebene zu durchqueren. Auf 25 Kilometern verlief parallel in etwa 30 Meter Abstand noch die alte Schotterstrasse und ich war sehr glücklich, die wesentlich leichtere Variante fahren zu können.

Am Nachmittag war ich in dem 10.000 Einwohner‑Ort Santa Maria und quartierte mich in einem sehr schönen Apart-Hotel mit großem Zimmer, Balkon, Küchenzeile mit Mikrowelle, schönes Badezimmer und vornehmer Bettwäsche ein, wofür ich nur 20 Pesos bezahlte. In einer Residencial mit drei Eisenbetten, Fenster zum dunklen Hof und kleiner schmutzigen Toilette hätte ich 10 Pesos bezahlt. So hatte ich für den doppelten Preis wirklich den zehnfachen Gegenwert. Für einen Euro bekommt man heute 3,20 Pesos, vor 2 Jahren dagegen war ein Peso gleich einem US$. Hier mal eine kleine Übersicht, was ich für meine Pesos in Santa Maria alles bekam:


Im einem ganz guten Restaurant:         8,50 Pesos, ein großes Steak mit Pommes

                                                                    4,00 Pesos, eine Flasche Rotwein Hausmarke

                                                                    1,00 Peso, jede Menge Brot mit Aufstrich


Im Tante-Emma-Laden für 16,00 Pesos (etwa 5 €):

                                                                1 Liter Milch                             400 g Spaghetti

                                                                1,5 Liter Coca Cola                150 g Käse

                                                                1,5 Liter Mineralwasser          500 g Marmelade

                                                                100 g Butter                              8 Brötchen

                                                                400 g Haferflocken                  1 Rolle Toilettepapier


Diese Preise sind auch in Salta ähnlich. Internet eine Stunde 1 Peso.

Das sind natürlich nur für uns günstige Preise, sehr viele Argentinier können sich vieles davon nicht leisten. Allerdings profitiert wenigstens die Touristikbranche davon.

Von Santa Maria ging es nun in den Weinort der Provinz Salta, Cafayate. Grosse Weinfelder von bekannten Winzern umgeben den Ort, der auf knapp 1.700 Meter liegt, viele Touristen anzieht und wesentlich mehr Sonne als Salta hat. Nach einem Zwischenstopp in einem Straßencafé wollte ich noch einige Kilometer radeln und bekam bald kräftigen Gegenwind. Nach kapp 20 Kilometern ging es in die Quebrada Cafayate (Klamm/Schlucht) mit wunderbaren Fels/Sandsteinformationen, einem trockenem Bachbett und leider auch starkem Wind. Während ich einen hinter einem Hügel liegenden, windgeschützten Platz von Steinen und Dornenzweigen befreit hatte, hatte sich leider der Wind gedreht und ich musste den Zeltaufbau abbrechen, da mir aus dem steinigen und sandigen Boden sofort die Heringe herausgerissen wurden. So zog ich ein Stück weiter und legte mich nur mit Schlafmatte und Schlafsack auf die mit Steinen beschwerte Plastikunterlage in das harte, mit vielen spitzen Steinchen bestückte Bachbett. Geschlafen habe trotzdem ganz gut. Der starke Gegenwind wehte auch am Morgen noch durch das enge Tal, aber bei den vielen Windungen kam ich trotzdem öfter in den Genuss von Windschatten. 65 Kilometer lang war die Klamm und am Ausgang der Ort Alemania. Bei diesem Namen sah ich im Geiste einen schönen sauberen Ort mit Gasthaus und Café mit Kuchen. Enttäuscht war ich, als ich ein kleines Dorf antraf, dem die meisten Bewohner längst den Rücken gekehrt hatten. Deutsche leben hier gar nicht. Aber vor dem längst still gelegten Bahnhof steht noch das Schild "Alemania". Einige Zeit später fand ich aber tatsächlich ein Gasthaus mit Gastgarten und Kaffee und Kuchen und da selbst das Gras wie zu Hause war, kam ich mir auch wie auf einer Radtour zu Hause vor.

Die letzte Tagesetappe am 1. Mai 03 nach Salta war für mich Sonnenverwöhnten ungewohnt, denn der Himmel war bedeckt und das blieb auch die nächsten Tage so. 6.150 Kilometer hatte ich auf dem Tacho und wenn ich auch einige Male zwischen Chile und Argentinien quer gefahren bin, lässt es doch auf die enorme Größe des Landes schließen. Immerhin fast acht mal größer als Deutschland und 33 mal größer als Österreich.

Auf Empfehlung konnte ich in Salta gleich ein sehr schönes, privates Quartier ansteuern und ich fühlte mich sehr wohl dort. Salta hat etwa 400.000 Einwohner und liegt auf 1.190 Meter Höhe. Damit bin ich seit meiner Passüberquerung nie mehr unter 1.000 Meter gekommen. Es war schon etwas herbstlich und viele Straßenbäume hatten kein Laub mehr. Die Temperaturen um die 25 Grad waren aber sehr angenehm.

Meine nächste Etappe wird mich jetzt nach Bolivien führen und damit geht es erst richtig in die Höhe. Etwa 350 Kilometer sind es bis zur Grenze und dann auf den zwischen 3.800 und 4.200 Meter hoch gelegenen Altiplano (Hochebene) in Bolivien mit seinen Salzseen und sehr großen Temperaturunterschieden zwischen Tag und Nacht. Damit komme ich jetzt in die Indio-Länder, die nicht mehr so europäisch geprägt sind wie Argentinien und Chile.

Hans Windisch


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