Von Feuerland zur Karibik

Von Feuerland zur Karibik


4. Reisebericht:   Perito Moreno – San Carlos de Bariloche (Argentinien)

Während auf der letzten Strecke El Calafate – Perito Moreno Trockenheit und Wind die bestimmenden Elemente waren, waren es auf der Carretera Austral die schöne Landschaft und der Regen. Zunächst ging es Richtung Westen in den 70 Kilometer entfernten argentinischen Grenzort Los Antiguos am Buenos Aires See. Nach etwa 600 Kilometer Schotterpisten nun asphaltierte Straßen zu befahren, war ein sehr angenehmes Gefühl. Drei Fernradler kamen mir mit Wind im Rücken und beneidenswert großer Geschwindigkeit entgegen und nur einer mochte seine Fahrt für einen kurzen Plausch unterbrechen.

Die Landschaft änderte sich und es gab viele intensiv grüne Büsche und Pappeln, die von weitem wie kleine Wälder aussahen. Tatsächlich waren sie aber in Reihen mit etwa 50 Meter Abstand gepflanzt und dazwischen wurde Getreide angebaut. Auch Los Andiguos ist ‑ wie ebenfalls der chilenische Grenzort Chile Chico ‑ auf Grund eines Bewässerungssystem sehr grün mit vielen Bäumen. Los Antiguos ist bekannt für seine Kirschen und gerade das Wochenende zuvor feierten sie ihr Kirschenfest.

Nächsten Tag stand nur die Fahrt nach Chile Chico an, die etwa 15 Kilometer musste ich auf Schotter zurücklegen. Die Grenzabfertigungen waren wieder problemlos, nur musste ich vor dem chilenischem Grenzgebäude meine zwei Kilo Kirschen aufessen, die ich mir tags zuvor gekauft hatte. Frisches Obst und frische Tierprodukte nach Chile einzuführen, ist leider verboten.

Für die Strecke von Chile Chico nach Puerto Ibanes hatte ich mich für die Fähre über den See entschieden und nicht für die 300 Kilometer lange Strecke um den westlichen See herum. Schon als ich die erste Steigung am Ortsausgang von Chile Chico sah, war ich froh darüber. Die Fähre sollte um 17:00 Uhr ablegen und somit hatte ich noch genug Zeit, mir Geld zu besorgen und die Lebensmittel für die nächsten Tage bis Coyhaique einzukaufen. Mit vier Schwerlastern, etlichen Pkws und meinem festgezurrten Fahrrad legte die Fähre pünktlich ab. Bereits als wir den durch die Berge geschützten Bereich verließen, wühlte der Wind das Wasser auf und ließ Wellen aufs Deck klatschen, so dass ich nicht mehr an mein Fahrrad konnte, um mir mein Regenzeug heraus zu holen. Da es im Ort einigermaßen warm war und auf dem See im Küstenbereich keine Wellen waren, hatte ich nicht gut genug vorgesorgt. Für die zweieinhalbstündige Fahrt war diese Fähre absolut nicht geeignet, denn es gab keine Möglichkeit, sich unter ein Dach oder in einen Raum zu stellen. Es gibt nur eine Brücke und dahinter einen kleinen Raum für die Mannschaft. Ich stellte mich neben die Auspuffrohre der Fähre, um etwas Wärme abzubekommen. Auf der anderen Seeseite aber kam es noch schlimmer, es gingen schwere Regenschauer nieder und die Fahrt war erst gut zur Hälfte bewältigt. Ich musste meinen Wärmeplatz aufgeben und zusammen mit zwei Rucksacktouristen versuchte ich irgend ein trockenes Plätzchen zwischen den Lastern zu bekommen oder sogar in einem PKW unterzukommen. Doch diese waren alle proppevoll mit Leuten und Gepäck und die Fernfahrer nutzen solche Pausen zum Schlafen. So stand ich im prasselnden Regen, bis ich mich für kurze Zeit in eine enge, stinkige Toilette sperrte und dort Gymnastikübungen machte, um mich aufzuwärmen.

In Puerto Ibanes erwartete ich außer einem Fährhaus keine weiteren Hauser und es graute mir schon, dort im Regen und Wind mein Zelt aufstellen zu müssen. Glücklicherweise jedoch ist Poerto Ibanes ein richtiges Dorf mit Herbergen. Bei strömenden Regen nahm ich die erste Pension, in dem schon ein spanisches Bustouristenpaar rund um den Ofen seine Rucksackinhalte zum Trocknen ausgelegt hatte. Der Raum war angenehm warm und das tat gut.

Während der Nacht tobte ein kräftiger Sturm und es rüttelte und schepperte überall, im Badezimmer zog es wie verrückt und auf mein Dach aus leicht durchsichtigem Wellplexiglas trommelte ein Regenschauer nach dem anderen. Die Bergkuppen waren mit Neuschnee bedeckt. Bei diesem Wetter wollte ich nicht losfahren. Als gegen 10 Uhr die Sonne kam und nur noch der starke Wind übrig blieb, entschloss ich mich dennoch, meinen dreiundsechzigsten Geburtstag auf der Strecke zu verbringen. Gleich nach einem Kilometer ging es in Serpentinen aufwärts und weil ich gegen Wind und Steigung gleichzeitig nicht ankam, blieb nur das Schieben, was auf Grund des bepackten Rads ebenfalls sehr anstrengend ist. Nach der langen Steigung wurde das Gelände angenehmer. Die Landschaft war schon richtig grün und mindestens alle 3 – 5 Kilometer war eine kleine Farm. Nach sechs Stunden unterwegs sein und nur zwanzig Kilometer Fahrstrecke, fragte ich bei einer Farm, ob ich mein Zelt aufstellen dürfte und es wurde mir sofort erlaubt. In einer geschützten Ecke des verwilderten Gartens stellte ich es in hohes Gras. Der Farmer, wieder ein alleinstehender alter Mann, heizte gleich den Herd ein und lud mich zum Kaffee ein. Auch hier rüttelte der Sturm an dem Haus und es quietschte und ächzte, als wollte er gleich das Dach abheben. Ich wundere mich immer wieder, dass diese leicht gebauten Häuser dies aushalten. Unruhe konnte ich bei dem Mann nicht feststellen. Für den Abend lud ich ihn zum Rotwein ein, den ich mir zum Anlass meines Geburtstages aus Chile Chico mitgebracht hatte. Mit Keksen, Erdnüssen und Wein kam ich bei ihm an, nachdem er mit seinem Pferd die Schafe zusammentrieb und sie in einen Pferch sperrte. Er sagte, dass er abends keinen Wein trinke, doch mir zuliebe holte er sich ein ganz kleines Gläschen und ließ sich einschenken. Den Rest trank ich in meinem Zelt bei Spaghetti und feiner Tomatensauce, die Landschaft betrachtend. Im Gegenlicht des Mondes kommt besonders zur Geltung, wie sich die hohen, schlanken Pappeln im Sturm biegen können.

Bis zum Morgen hatte sich der Sturm ausgetobt und erlahmte völlig. So konnte ich fast bei Windstille losfahren. Noch zehn Kilometer waren es bis zur Carretera Austral, die Strasse, die Pinochet in den 70-er Jahren etwa 1.000 Kilometer in den Süden vorgetrieben hatte, damit dieser südlicher Landesteil besser besiedelt werden konnte. Die damals bereits vorhandenen Siedlungen waren bis dahin nur über Argentinien erreichbar. Eine ganz toll ausgebaute Betonstrasse führte kurvenreich zu einem 1.120 Meter hohen Pass hinauf und belohnte dann mit einer langen, sanften Abfahrt. Angenehm der Kontrast zur Ruta Cuarenta (Nationalstrasse 40) in Argentinien. Statt nur stacheligem Büschelgras nun saftiges Gras und die Hänge sahen fast aus wie Almen. Andere wiederum waren bis obenhin mit Wald – Südbuchen und Kiefern – bewachsen. Aber es gibt auch Berge, die nur braun oder grau sind und andere, die starke Erosionen aufweisen. Da nun aber wieder Weidezäune beiderseits der Strasse die Schlafplatzsuche erschwerten, bat ich bei einer kleinen Estanzia um einen solchen. Unmittelbar an der Strasse, aber eben hinter dem Zaun, fand ich zwischen Kuhfladen meinen Nachtplatz. Der Regen, der abends einsetzte, wartete so lange, bis ich mein Essen gekocht hatte.

Morgens wieder auf gutem Asphalt, ging es viel auf und ab und ich kam mir vor wie im Voralpenland, nur das über weite Strecken die ganzen Hügel und Bergkuppen mit abgestorbenen oder entwurzelten Bäumen übersät waren. Wie ich hörte, sei dies das Ergebnis früherer Brandrodung. Ich fragte mich, warum die Bauern das Holz nicht zusammentragen und wenn sie es schon nicht brauchen, dann zumindest verbrennen, um für ihr Weidevieh Gras wachsen zu lassen.

Je mehr ich mich der Stadt Coyhaique näherte, um so stärker wurde der Verkehr. Ich kam mir fast vor wie auf der B75. Coyhaique erreichte ich am frühen Nachmittag bei leichtem Regenschauer. Dass an der Carretera Austral eine so große Stadt liegt (38.000 Einwohner), hatte ich erst in El Calafate erfahren. Völlig korrigieren musste ich meine Vorstellung von der total "einsamen und schlechten Schotterstrasse", nahezu ohne Ansiedlung, mit problematischer Lebensmittelversorgung und bei einer Panne kaum Aussicht auf Hilfe, wie ich es in einer Tourenbeschreibung für Autofahrer gelesen hatte. Zwar habe ich auf der etwa 120 Kilometer langen Strecke von Puerto Ibanez bis Coyhaique kein Geschäft und nur einen geschlossenen Gasthof ausmachen können, aber die Gegend ist relativ dicht besiedelt, so dass man sich bei den Bauern versorgen konnte. Ich hätte auch nie gedacht, dass ich so viele andere Globetrotter treffen würde. Besonders auf der Carretera Austral, wo einem an einem Tag bis zu zehn Radler begegnen können (die meisten allerdings radeln nur in den relativ leicht zu bereisenden Länder Chile und Argentinien). Die Deutschen stellen dabei die größte Zahl, dicht gefolgt von den Schweizern. Österreicher dagegen habe ich noch keinen einzigen getroffen.

Coyhaique ist, seitdem es die Strasse gibt, eine aufstrebende Stadt. Sie kam mir vor wie eine Stadt in den französischen Alpen, in einem Tal gelegen und ringsum von Bergen umgeben. Ein Quartier bei Privatleuten mit Küchenbenutzung war gleich gefunden, ich fühlte mich so wohl, dass ich für drei Nächte blieb. Wie ich von meinen Gastgebern erfuhr, mussten die Leute früher nach Argentinien fahren, um einzukaufen. Auch sie waren Neuzuwanderer, die ihre warme Gegend in Zentralchile aufgegeben hatten, um hier Arbeit zu finden.

Ich verließ Coyhaique zusammen mit Sebastian, einem Radler aus Deutschland, den ich am Tage zuvor getroffen hatte und der mir vorschlug, ein Stück zusammen zu fahren. Nachdem ein kleiner Pass bezwungen war, ging es dann lange bergab und durch das schöne Tal des Rio Simpson. Schon nach 20 Kilometer war unsere gemeinsame Fahrt zu Ende. Ich hatte einen Platten und das hieß alles abpacken, Schlauch wechseln und wieder aufpacken. Als wir wieder losfahren wollten, war die Luft schon wieder raus. Sebastian war schon um die Kurve und kam auch nicht mehr zurück. Ich hatte ihm schon beim ersten Platten gesagt, er brauchte nicht auf mich zu warten. Für die Montage fand ich glücklicherweise einen kleinen Felsüberhang gegen die kleinen Regenschauer und eine Wasserlache am Straßenrand, somit konnte ich gleich beide Schläuche flicken.

Das Tal war sehr schön, anfangs eng mit steilen Hängen, von denen überall Wasser über die Felsen stürzte. Selbst die ganz steilen Hänge waren bis oben bewaldet. Es blühten viele Margariten und andere Wiesenblumen und viele Himbeeren und Fuchsienbüsche waren am Straßenrand. Zwanzig Kilometer vor Puerto Aisén zweigte ich in das Tal des großen Rio Manihuales Richtung Norden ab und fand nach längeren Suchen einen sehr schönen, geschützten Schlafplatz. Elf Radler begegneten mir an diesem Tag! Im Gegensatz zu Coyhaique ist Puerto Aisén – früher ein wichtiger Ort, da per Schiff erreichbar – , eine sterbende Stadt. Der Hafen versandet und es gibt viele trostlose, verfallene Häuser und ausgeprägten Alkoholismus.

Nächsten Tag setzte sich die alpenländische Landschaft fort und am späten Vormittag erreichte ich den kleinen Ort Manihuales, in dem es erstaunlicherweise alles gab. Gleich mehrere kleine Supermärkte, Cafeterias, Hotel, Telefon und Bäckerei. Etwa 30 Kilometer nach dem Ort war es mit dem Asphalt vorbei (insgesamt immerhin etwa 200 Kilometer), und es ging über in eine schmale Schotterstrasse, die aber sehr gute Abschnitte hatte. Schon einige Kilometer weiter fing der Regenwald an, der bei diesem schönen Sommertag ganz besonders reizvoll war. Hohe, mit Flechten bewachsene Bäume, dichtes Unterholz und umgestürzte, vermooste Baumstämme, dazu exotische Vogelstimmen. Außer einer Kolibri-Art bekam ich leider keinen einzigen Vogel je zu Gesicht. Eine Fahrspur führte in den Wald und der folgte ich, obwohl noch sehr früh, um hier einen Schlafplatz zu suchen. Ich fand einen wunderschönen Platz auf einer kleinen Lichtung. Vor mir ein riesiger Berg und hinter mir hohe, steil aufragende Felswände, zum Teil schneebedeckt. Dazu ein Himmel ohne Wolken und urplötzlich laute Vogelstimmen.

Mit dem schönen Wetter war es am Morgen leider vorbei. Es goss und ich musste lange auf eine kleine Regenpause warten, um draußen meinen Kaffee zu kochen. Ich beschloss, bei diesem Wetter nicht loszufahren und dafür spanisch zu lernen und zu schlafen. Doch gegen Mittag hörte der Regen auf und ich packte mein nasses Zelt ein und fuhr los. Schon nach zwei Kilometer kam mir der erste Radler – aus dem Ruhrgebiet – entgegen und es gab viel zu erzählen. Zwei weitere Radler, aus meiner Richtung kommend, gesellten sich dazu. Es waren Susanne und Tobias, die ich bereits in El Calafate kennen gelernt hatte. Lange unterhielten wir uns zu viert, was immer sehr interessant ist. Anschließend fuhren Susanne, Tobias und ich gemeinsam weiter. Unser Zusammensein dauerte dann zweieinhalb Wochen und es war sehr schön. Die beiden Münchener sind verheiratet und hatten beide ihren Job gekündigt, um für ein Jahr durch die Welt zu radeln. Seit fünf Monaten sind sie bereits unterwegs, erst im Norden Argentiniens, dann mit dem Bus nach Ushuaia und von dort wieder Richtung Norden, etwa die Strecke wie ich auch. Nur die Ruta Cuarenta überbrückten sie mit dem Bus. Dafür aber fuhren sie nicht mit der Fähre über den See Buenos Aires, sondern nahmen die 300 Kilometer weitere Strecke um den westlichen See. Es wäre sehr schön, aber sehr hart gewesen. Anfang März werden sie von Santiago de Chile weiter nach Neuseeland fliegen, um dort ihre Radtour fortzusetzen.

Wir hatten bald eine etwa 40 Kilometer lange Baustelle zu durchfahren, von der ich schon einige nicht sehr ermutigende Berichte gehört hatte: abgeladene Erd- und Steinhaufen auf der Piste und tiefe Furchen von den schweren Baufahrzeugen in dem weichen Erdreich. Dazu immer die Gefahr, von einem der Baufahrzeuge angefahren zu werden. Etwa zwanzig Kilometer davon sind wochentags von 12 bis 16.30 – auch für Radfahrer – auf Grund von Sprengarbeiten gesperrt, da die Strasse verbreitert und asphaltiert werden soll. Wir passierten die Baustelle an einem Sonntag und hatten Glück, denn diese lies sich gut befahren. Weil es in diesem Gelände mit sumpfigen Boden und vermoderten Baumresten sehr schwer ist, einen Platz zum Schlafen zu finden, stellten wir unsere Zelte während eines Regenschauers direkt neben der Strasse und neben dem recht lauten Rio Grande auf. Susanne und Tobias luden mich zum Essen in ihr großes Zelt ein und wir genossen die gemütliche Atmosphäre bei einer Flasche Rotwein bis weit nach Mitternacht.

Nächsten Tag war wunderbares Wetter, wir waren aus der Baustelle raus und die Strasse hatte wieder normale Fahrzeugbreite. Alle drei waren wir im Nachhinein froh, die Strasse noch in ihrem alten, unasphaltiertem, doch durchwegs gutem Zustand befahren zu haben. Bald hatten wir einen Pass mit z.T. brutalen Steigungen bis zu 20 % zu überwinden. Kurz vor der Passhöhe zeigte sich vor uns eine Hängegletscher und auf der Passhöhe fanden wir einen herrlichen Picknick-Platz. Von dem steil aufragenden Berg gegenüber stürzten Wasserfälle von dem Gletscher in mehreren Etagen über die Felswände. Bei der anschließenden längeren Abfahrt begleiteten uns ebenso Wasserfälle und tosende Bäche zu Tal. Die Vegetation war sehr dicht und exotisch. Grosse Farne und Pflanzen mit riesigen Blättern und einem Durchmesser bis zu zwei Metern, sowie Gebüsch aus Bambus und hohe, mit Moos bewachsene Bäume, wetteiferten in unterschiedlichem Grün. Wir waren wieder auf Meereshöhe und hatten über einen Fjord Verbindung zum Pazifischen Ozean. Die Strasse führte in vielen Kurven meist an diesem entlang und die Landschaft war sehr reizvoll. Auf einem sehr schönen Campingplatz im National Park Queulat übernachteten wir und wollten nächsten Tag zu dem 1 ½ Stunden entfernten Gletscher mit riesigem Wasserfall gehen. Regen und Nebel verhinderten dies allerdings. Über eine Hängebrücke überquerten wir aber einen breiten, unwahrscheinlich wilden Fluss, den ich nachts im Zelt schon immer hörte. Hier traf ich zum dritten Mal das Schweizer Paar, welches ich schon in Buenos Aires und auf Feuerland getroffen hatte. Erst am Nachmittag fuhren wir weiter und quartierten uns in einer Pension im Dorf Puerto Puyuhuapi ein, welches einst von vier Deutschen gegründet wurde. Strassen- und Brückennamen erinnern noch an die Gründer.

Es regnete die ganze Nacht und wir blieben den nächsten Tag im Dorf. Es sah sehr trist und dürftig aus. Es gab keine festen Strassen, aber jede Menge kleine Supermärkte. Weiter gab es dort eine kleine Teppichknüpferei, geführt von einem Nachkommen der Gründer und ein gutes Restaurant, deren Besitzer, Familie Rossbach, auch deutschstämmig sind. Ein ganz besonders gut schmeckendes Püree bekamen wir serviert. Die Wirtin klagte sehr über die schlechte Geschäftslage. Weil Argentinien mittlerweile so preisgünstig ist, ziehen es auch die Chilenen vor, ihren Urlaub in Argentinien zu verbringen und die Argentinier können es sich nicht mehr leisten, in das wesentlich teurere Chile zu fahren.

Der Regen hörte auch die nächste Nacht nicht auf und so brachen wir morgens, in Gummikleidung eingepackt, auf zum nächsten, knapp 50 Kilometer entfernten Dorf La Junta. Es ist schade, diese schöne Landschaft nicht sehen zu können, weil die Berge auf Grund des Regens vom Nebel verhüllt sind. Die Strecke war meist ein Auf und Ab. Relativ kurze (100 – 400 Meter), aber sehr steile Steigungen erforderten allerhand Kraft. Susanne war die beste Bergfahrerin und auch im Flachen steckte sie uns beide in die Tasche. Nach jedem Start hatte sie sofort einen erheblichen Vorsprung und fuhr die oft 10 bis 20‑prozentigen Steigungen mit Leichtigkeit. Ich hatte bereits von mehreren Paaren gehört, das die Frauen die Stärkeren sind, trotzdem muss ich zugeben, dass ich mich oft gefragt habe, wie sie wohl so schwierige Strecken packen. Jetzt weiß ich es! Tobias kochte dafür aber sehr gut und auch gleich immer für mich mit. In unserer Hospedaje in La Junta wurde das Zimmer zur Küche und es gab Spaghetti mit sehr leckerer selbst gemachter Tomatensauce. Zwei weitere Radler kamen dazu, ein Stuttgarter, der in Toronto gestartet war und ein Südafrikaner.

Beim Frühstück mit den beiden Radlern ließen wir uns Zeit, denn es regnete ununterbrochen und so fuhren wir erst um halb zwölf los in das 70 Kilometer entfernte Santa Lucía, am Abzweiger nach Esquel in Argentinien. Gleich an der Strasse fanden wir eine Hospedaje mit Supermärktchen, wo wir nach der Dusche unser nasses Zeug um den Ofen herum trocknen konnten. Leider gab es weder in diesem Laden, noch anderswo im Ort Bier, was nach einem Radlertag immer mit das Schönste ist. Susanne schämte sich für uns, weil von uns Männern die zweite Frage – nach dem Zimmer – immer gleich nach einem Bier war. Den Einwohnern von Santa Lucía meinte ich eine gewisse Apathie anzumerken, vielleicht auf Grund des vielen tristen schlechten Wetters. Vieles im Ort ist kaputt und wird nicht wieder hergerichtet, alles ist matschig und die sanitären Einrichtungen sind oft schlimm.

Der Regen plätscherte uns nun bereits den fünften Tag auf dem Kopf. Eigentlich wollten wir uns hier trennen, denn Susanne und Tobias hatten vor, noch 70 Kilometer weiter die Carretera Austral nach Chaitén zu fahren, um dann ueber Puerto Montt nach Bariloche zu kommen, während ich Richtung Esquel wollte. Die beiden änderten jedoch ihren Plan und kamen mit mir Richtung Argentinien, um dem Regen zu entkommen. Und tatsächlich, schon hinter dem nächsten Berg regnete es nicht mehr und so blieb es auch bis zum Abend. Wir kamen an schönen Seen vorbei und fuhren entlang des wilden Rio Futaleufú, der meist mit gewaltiger Strömung zwischen den Bergen seine Kurven zog. Auf diesem Fluss wird in großem Stil Rafting betrieben. Kurz nach dem Dorf Futaleufú war die chilenische Grenzabfertigung und ein paar Kilometer weiter die argentinische. Sofort kamen wir wieder in den "Genuss" schlechter argentinischer Schotterstrassen, was nach den guten chilenischen Straßen nun besonders unangenehm war. Mittags holte uns ein Schweizer Radlerpaar ein und zu fünft radelten wir nach Trevelin, etwa 25 Kilometer vor Esquel. In diesem lang gezogenen Ort fanden wir ein schönes Quartier mit Garten und natürlich einem Grill, der bei den Argentiniern nicht fehlen darf. Den Tag darauf entspannten wir uns, besorgten Steaks und viele andere leckere Dinge für den Abend und veranstalteten ein Asado (Grillabend).

Nächsten Tag änderte ich meine ursprünglich angedachte Tour und fuhr anstatt nach Esquel, mit Susanne und Tobias durch den Nationalpark Alcerces Richtung Bariloche. Der Park mit seinen vielen Seen, schönen Wäldern, Flüssen und Gletschern glich den Nachteil seiner schlechten Straßen mit kräftigen Steigungen aus. Trotzdem war es eine sehr schöne Route. Jeden Abend haben wir gegrillt. Bemerkenswert ist, dass selbst in den Nationalparks mit vielen Touristen die Preise ganz normal sind. So zahlten wir in einem der Gaststätte angeschlossenen kleinen Laden für Fleisch, Brot, Kuchen, Feuerholz und einige Kleinigkeiten umgerechnet nicht einmal fünf Euro – für drei Personen. Am nächsten Tag hatte ich meinen dritten Platten und auch die Decke war an der Felgenkante auf etwa 20 Zentimeter aufgerissen, so dass ich meinen Reservereifen aufziehen musste.

Die letzten 40 Kilometer Schotterpiste hatten es wieder in sich. Leider war ich nicht gut drauf und viel weicher und sandiger Untergrund forderten enorme Kräfte. Glücklicherweise erreichten wir am Nachmittag die asphaltierte Hauptstrasse Esquel – Bariloche und gleich zu Beginn gab es eine schöne Abfahrt. Die Strasse führte uns wieder zurück in die Anden und die etwa 50 Kilometer nach El Bolsón immer zwischen hohen Bergen entlang. El Bolsón ist ein netter kleiner Ort mit viel Tourismus und hat ein so genanntes Mikroklima, das heißt, es ist wärmer und nicht so windig wie in anderen Orten in der weiteren Umgebung. Vergleichbar in etwa mit Freiburg in Deutschland. Nach einer Nacht auf dem Campingplatz in El Bolsón trennten wir uns für ein paar Tage, denn Susanne und Tobias wollten einen Ruhetag einlegen. Ich aber wollte so schnell wie möglich nach Bariloche, um einen Spanisch-Kurs zu organisieren, denn leider haperte es mit meinen Sprachkenntnissen doch sehr.

Am Samstag, den 08.02.2003, erreichte ich am späten Nachmittag und nach knapp 2.800 Kilometer (davon gut 80 % auf Schotterstrasse) San Carlos de Bariloche und damit mein erstes Etappenziel. Lange hatte ich mich danach gesehnt, Bariloche und damit ein wärmeres Klima zu erreichen. Am Sonntagabend kamen die beiden Münchner nach und das Quartier für sie war schon bereitet. Ich hatte nämlich ein sehr preisgünstiges Quartier für nur 10 Pesos (gut 3 Euro) mit Küchenbenutzung gefunden. Vier Tage später fuhren sie weiter. Ich dagegen belegte einen zweiwöchigen Spanisch‑Einzelkurs für drei Stunden täglich und ließ mir viele Hausaufgaben mitgeben, womit ich mich den ganzen Nachmittag im Garten beschäftigte. Es hat aber sehr viel Spaß gemacht und es waren sehr nette, kompetente Lehrerinnen.

Mit dem wärmeren Wetter stimmte es tatsächlich. Seit 14 Tagen bin ich jetzt hier und wir haben meist schönes, angenehmes Sommerwetter, selten mal kräftigen Wind und Raureif auf den Autodächern.

Bariloche am Südufer des Sees Nahuel Huapi am Rande der Anden gefällt mir sehr gut. Mit ca. 100.000 Einwohner ist es schon eine Großstadt, hat aber trotz vieler Touristen einen gemütlichen Charakter. Die Stadt liegt auf gut 800 Meter Seehöhe und ist wie fast alle Orte hier in Längs- und Querstrassen eingeteilt, wovon die vom See wegführenden eine oft über 20‑prozentige Steigung– wie in San Francisco – aufweisen. Da sich viele Schweizer hier niedergelassen hatten – es gibt auch noch eine Schweizer Kolonie –, sieht man viele rustikale, alpenländische Häuser. Bekannt ist Bariloche auch für seine Schokoladen, es gibt unzählige exzellente Geschäfte. Die Armut und bettelnde Kinder sind allerdings auch nicht zu übersehen.

Meine nächste Zwischenetappe wird mich in das sehr schöne Seen‑ und Vulkangebiet nördlich des Lago Nahuel Huapi, auf argentinischem und chilenischem Gebiet, führen, bevor es dann weiter nach Santiago de Chile geht.

Tschüss aus dem wilden und reizvollen Patagonien!

Hans Windisch


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