www.bikeamerica.de - Reisebericht über unsere Panamericana-Tour 14

Finale am Bermejopass

Per Rad auf den Spuren einer legendären Andenbahn

Von Ushuaia müssen wir natürlich die Camioneta wieder zum Vermieter zurückbringen. Ein paar Tage Luft bleiben noch bis zum Rückgabetermin, und dann soll es, irgendwie quer durch die Pampa, wieder mit dem Rad nach Buenos Aires gehen, wo der Flieger Richtung Alemania wartet. Wir legen noch ein paar ruhige Tage in Bariloche ein, unternehmen ausgedehnte Genuss-Radtouren rund um den traumhaft schönen Lago Nahuel Huapi und schauen abends hingebungsvoll dem "Andenglühen" zu, wenn die untergehende Sonne die Berggipfel und die riesige Seefläche mit irren Licht- und Farbspielen überzieht, rot, orange, gelb, türkis, violett - schon ein sagenhaftes Gebirge, diese Anden! Und dabei spukt mir ständig ein Wort im Kopf herum: BERMEJO.

Als alter Pass-Radler und Eisenbahnfan kann ich einfach nicht nach Hause, ohne über den Paso Bermejo geradelt zu sein! Das war schon klar, als wir im Santiagoer Eisenbahnmuseum vor der Locomotora 3349 standen. Dazu ist der Bermejo, auch was seine Bedeutung für den Straßenverkehr betrifft, seit vielen Jahren die Haupt-Verbindungsachse zwischen Chile und Argentinien, übertragen auf heimische Verhältnisse durchaus zu vergleichen etwa mit dem Gotthard oder mit dem Brenner. Wenngleich um tausend unwesentliche Meterlein höher als ersterer (auf 3185 Metern liegt der Eingang zum Straßentunnel), und die Scheitelstrecke hinauf zum Denkmal "Cristo Redentor" führt gar auf rund Dreineun. Die soll aber heute nur noch von der argentinischen Seite aus zugänglich sein.

  Urheber: Pontificia Universidad Católica de Chile, © siehe hier

Der Haken ist nur: Der Bermejo liegt gut tausend Kilometer nördlich von hier. Aber, wie gesagt, wir haben noch Zeit - und so tanken wir mal wieder die Camioneta randvoll mit billigem argentinischem Sprit und gehen auf die Autobahn. Der Plan ist folgender: Ich werde den Bermejo von Los Andes aus im Sattel angehen, Sybille transportiert ihr Fahrrad und unser umfangreiches Gepäck im Auto nach oben. Dann werden wir beide Räder und das meiste Gepäck in Portillo lassen, kurz vor der Passhöhe, die Camioneta zurückgeben und ein paar Tage später von Portillo aus vollends über den Pass hinunter nach Mendoza und dann weiter nach Buenos Aires radeln.

Und so stehen wir eines schönen Morgens in Los Andes auf dem Bahnhofsvorplatz. Das nette, lebendige Städtchen, 822 Meter hoch und knapp 80 Kilometer nördlich von Santiago gelegen, war immer der wichtigste Ort an der Andenbahn, obwohl deren Meterspur-Schienen erst um einiges weiter westlich bei San Felipe in die normalspurige Nord-Süd-Bahn mündeten. Doch in Los Andes war immer das Bahnbetriebswerk, der Sitz der Bahnverwaltung und der wichtigste Güter-Umschlagplatz von der Schiene auf den Straßentransport. Erst 1980 wurde nämlich der Straßentunnel "Cristo Redentor" eröffnet, und vorher hatte der Bermejopass jährlich rund fünf Monate Wintersperre. Ohne Bahn ging in dieser Zeit kein Gramm Fracht zwischen Los Andes und Mendoza, und natürlich auch kein einziger Passagier.

Bahnhof Los Andes

Der Bahnhof ist auch heute noch ein recht schmuckes Gebäude. Jedoch residiert jetzt drinnen das Finanzamt; das ist doch, im Vergleich zur vorigen Widmung dieses Hauses, ein echter Rückschritt. Ein Denkmal der chilenischen Ingenieure Juan und Mateo Clark ist noch zu sehen; die Schalterhalle schmückt ein imposantes Wandgemälde. Auf den Bahnsteigen jedoch wächst Gras - die Schienen immerhin sind noch blank: Auf dem unteren Teil der Bahnstrecke fährt noch mehrfach täglich ein Güterzug und transportiert Kupfererz aus der CODELCO-Mine nahe Rio Blanco ab.

Dank unserem guten Turistel-Reiseführer wissen wir aber, dass das hier nicht die ganzen Relikte der glorreichen Andenbahn-Vergangenheit sind. Im nahen Betriebswerk werde auch heute noch rollendes Material restauriert, so lesen wir. Doch kein Schild weist dem Fan den Weg zu den nur wenige hundert Meter entfernten Werkstätten. Am östlichen Rand des umfangreichen Bahngeländes bumpern wir mal auf Verdacht mit den Fäusten gegen ein verheißungsvoll aussehendes graues Blechtor, haben Glück und werden sogar eingelassen. Hier werden die Kupferzüge gewartet, wie wir sehen, dann führt uns ein freundlicher Mechaniker zu einer entlegenen Remise - und da stehen sie, die überlebenden Reste des berühmten Transandino: Eine weitere Zahnrad-Dampflok, kleiner als die 3349 in Santiago, ein paar Waggons, ein Triebwagen, eine kräftige elektrische Güterzuglok in Gelenkbauweise (made in Switzerland) und ein Uralt-Cummins-Schienenbus auf der Basis eines amerikanischen Omnibusses, dazu eine fantastische alte Schneefräse.

Triebwagen und Schneefräse im Bahnbetriebswerk

Die Mechaniker freuen sich riesig, dass wir uns für die alten Fahrzeuge interessieren. Überall wird fleißig restauriert, auf freiwilliger Basis aber, soweit die Männer neben ihrem "normalen" Job Zeit aufbringen können. Hoffnungsvoll erzählt man uns, dass spätestens im Jahr 2007 wieder Züge über den Bermejopass rollen sollen, es gibt sogar einen englischen Investor, eine Betriebskonzession ist beantragt, und mit dem alten Cummins-Diesel soll es bereits in nächster Zukunft Oldtimer-Fahrten nach Rio Blanco geben. Die Elektrolok stehe kurz vor der Fahrfertigkeit, und die Schienen der Scheitelstrecke seien nach nur 20 Jahren Stilllegung (im August 1984 ging der letzte Zug durch den Passtunnel, wie wir jetzt wissen) noch in durchaus reparablem Zustand. Wir hören's gerne, wünschen den Männern viel Glück - aber selbst wir als Laien sehen, da ist noch viel, viel zu tun. Doch die Wiedereröffnung der Strecke Los Andes - Mendoza, das wäre für Eisenbahnfans ein Ereignis von Weltgeltung! Wär' schön, wenn's klappt.

Im Bahnbetriebswerk

Dann schwinge ich mich auf dem Bahnhofsvorplatz in den Sattel, arbeite mich durch den dichten Verkehr von Los Andes, Laster, Taxis, Pferdefuhrwerke und Reisebusse, hinaus zur Ruta 60, Chiles wichtigster Fernstraße. Recht flach ist es zunächst noch im fruchtbaren Tal des Rio Aconcagua, der hoch in einem unwegsamen Andental entspringt und die Leitlinie für Bahn und Straße ist. Die Ruta 60 ist überraschenderweise recht schmal und aus ausgefransten Betonplatten ähnlich denen unserer frühen Autobahnen; bobop-bobop machen die Reifen, während ein stetiger Strom an schwer beladenen Lastzügen vorbeizieht und dem einsamen Radler kaum ein paar Zentimeter Platz lässt. Interessant die Vegetation: Maisfelder, Obstbäume; und an den steilen und bröseligen Hängen, die bald immer näher zur Straße rücken, ziehen sich Kakteen und struppige Büsche bis weit hinauf. Dazu Baustellen, Baustellen, Baustellen - immer wieder einspurige Stücke; ein Arbeiter mit roter Fahne regelt den Verkehr. Für mich sind diese Baustellen ein Segen, denn auf der gesperrten Fahrbahn, wo in der Regel auf etliche Kilometer nur ein paar Löcher zugeschüttet werden, habe ich fast freie Fahrt und kann wieder durchatmen. Und nach gut 20 Kilometern dann: Flüsterasphalt vom Feinsten, sogar mit kleinem Seitenstreifen, lediglich die Fahrbahnmarkierung fehlt noch. Sie tun also doch was, die Chilenen, für den Ausbau dieser bedeutenden Handelslinie.

Dichter LKW-Verkehr

Die Bahnlinie verläuft inzwischen um einiges höher als die Straße; ich hingegen habe bislang kaum an Höhe gewonnen und bin fast nur im großen Blatt gefahren. Unglaublich, über was für Geröllhänge die Bahn sich hocharbeiten muss! Sicher hat täglich eine Draisine die Strecke auf Erdrutsche zu überprüfen, und oft sind Galerien und kleine Tunnel zu sehen. Plötzlich wird auch die Straße steiler und gibt bald den Blick frei auf tolle Felsformationen: Ein enormer Granitriegel legt sich quer, vom Rio Aconcagua wie mit einer Machete durchgeschnitten. Das ist der Salto del Soldado, wo der Legende nach ein Soldat auf der Flucht mit seinem Pferd vor seinen Verfolgern über die nur wenige Meter breite Klamm setzte, in der tief unten der Fluss schäumt. Die Bahn durchquert das steinerne Hindernis in einem interessanten Tunnel; die LKWs und der Radler hingegen müssen sich steil hinaufarbeiten. Dahinter geht es gemeinerweise wieder ein Stück genauso steil hinunter.

Jetzt sind wir so langsam richtig im Gebirge. Ein großes Kraftwerk erzeugt Strom aus Wasserkraft, steile Riesenrohre laufen die Hänge herunter. Nach der Stromgewinnung wird das Wasser der Trinkwasserversorgung für die immer durstige und mittlerweile über 100 Kilometer entfernte Stadt Santiago zugeführt; ein gewaltiger Aufwand muss getrieben werden, um den Moloch am Leben zu erhalten.

Rund 35 Kilometer nach Los Andes erreichen wir das Dorf Rio Blanco, 1420 Meter, Bahnstation und früher eine richtige kleine Sommerfrische. Ein altes Hotel steht dekorativ herum, der Schwemmkegel des gleichnamigen und hier in den Rio Aconcagua einmündenden Flüsschens lässt gerade Platz für ein paar Äckerlein und eine Forellenzucht. Unweit endet heute der Bahnbetrieb bei den erwähnten Kupferminen. Und für den Radler endet jetzt der gemütliche Teil. Er tut gut daran, in Rio Blanco noch etwas Kräftiges zu futtern, denn ab jetzt geht's zur Sache. 1500 Höhenmeter auf 25 Kilometer.

Unterspülte Schienen in Rio Blanco

Der Paso Bermejo ist, wenngleich um einiges niedriger, doch ein ganz anderes Kaliber als die peruanischen Andenpässe mit ihren endlos langen, moderaten Anstiegen! Der Transandino setzte früher ab Rio Blanco sein Zahnrad ein, und der Radler braucht jetzt den Granny Gear. Zunächst folgen einige lange, fast bolzengerade Rampen mit gut 10% Steigung. Die letzten Kakteen verschwinden, bald gibt es nur noch Geröll, lediglich unten am Fluss wächst noch ein bisschen spärliches Gras. So eine bröselige Gegend haben wir noch nie gesehen! Ständig muss die Straße, bei nicht nachlassender Steigung, durch lange Lawinengalerien geführt werden. Drinnen ist es fast stockdunkel und hat massenhaft Schlaglöcher; zum Glück kann ich jedoch fast alle Galerien auf Ripio umfahren. Die alte Bahntrasse arbeit sich am gegenüberliegenden Hang bergauf, oft hängen die Schienen viele Meter weit infolge Unterspülung in der Luft. Tja, da ist wohl viel, viel Manpower und eine Unzahl an Stützmauern nötig, um wieder Leben auf das alte Gleis zu bringen! Und die Unterhaltungs- und Sicherungsarbeiten dürften früher schon Wahnsinns-Summen verschlungen haben. Unglaublich beeindruckend, diese Trasse - kaum bringe ich die Augen auf die Straße.

Die Laster haben mittlerweile auch kräftig zu kämpfen. Uralte Scania-Vabis und Daimler-Kurzhauber teilen sich das Terrain mit modernen Freightliner- und VW-do-Brasil-Trucks. Scania, die profitabelste LKW-Fabrik der Welt, scheint auch bei den modernen Geräten die Nase vorn zu haben, aber bergauf und bergab sind sie im Kriechgang fast alle gleich. Es stinkt nach Bremse, Kupplung und Diesel, doch fast alle Trucker hupen aufmunternd und recken den gestreckten Daumen aus dem Fenster, um dem lonesome Biker zu zeigen, dass er an einer bedeutenden Steigung arbeitet. Chile, Argentinien, Uruguay, Brasilien, Paraguay - die Nummernschilder der Transportistas machen deutlich, dass halb Südamerika sich über den Bermejo quält.

Kurz vor Juncal

Auf gut 2000 Metern wird es kurzfristig etwas flacher, die Ruinen der kleinen Bahnstation Juncal sind zu sehen, ein paar Militärgebäude und die Überreste eines Hauses der West Coast Cable Co., die vor vielen Jahren ein unterirdisches Telefonkabel zwischen Santiago und Buenos Aires betrieb. Ein winziges Campingplätzchen gibt es hier, einen Andenkenladen. Zehn Kilometer noch bis Portillo. Die Bahntrasse braucht ab hier fast die doppelte Distanz, arbeitet sich in ein unbewohntes Seitental hinein, macht weit hinten außer Sichtweite eine Kehre und kommt in schwindelnder Höhe über einen irrwitzigen Geröllhang wieder aus dem Tal heraus. Und schwindeln tut es fast auch den Biker, wenn er sieht, was ihm noch bevorsteht: Eine Moränenhalde, das letzte Hindernis vor Portillo, wird mit sage und schreibe 29 Spitzkehren überwunden.

Müdigkeit, Muskelkater - beim Anblick dieser Streckenführung ist alles verflogen! Es zieht mich richtig rein in diesen Korkenzieher; das ist das absolut schönste, was sich ein Bergradler vorstellen kann! Diese Straße hier steht dem Stilfser Joch oder dem Val di Tremola an der alten Gotthardroute in nichts nach, das ist beste Straßenbauer-Tradition. Nur, dass auf den genannten Alpenstraßen seit mehr als 50 Jahren keine LKWs mehr fahren - hier ziehen sie weit ausholend mit Schwung durch die Kehren, und während ich zügig höher trete, verkleinern sich die Trucks bis zum Spielzeugformat; der ganze Hang von oben betrachtet ist ein einziges Gewusel zweier sich entgegen laufender Lindwürmer. Etliche Laster sind auch mit Defekt liegen geblieben; freischaffende Mechaniker, Reifendienste und Abschlepper patroullieren und machen gute Geschäfte.

Serpentinien vor Portillo

Kurz nach vier passiere ich wieder die Bahnlinie, die auf schöner Gitterbrücke die Straße überquerte. Ein paar Gebäude kommen in Sicht - das ist jetzt Portillo, 2880 Meter, Chiles bekanntestes und feinstes Skizentrum. Lifte ziehen sich die Hänge hinauf, links sieht man die Steilabfahrten am Roca de Jack, wo in den 70er-Jahren der US-Amerikaner Jack Hatton den Ski-Weltrekord auf 216 km/h schraubte. Seither hat der Name Portillo weltweit Klang bei allen Skifans, auch heute noch gibt es etliche Events hier, und das alte Sporthotel, erbaut 1946, ist ein Juwel, ein prächtiger Kasten, der auch in Norditalien oder in der Schweiz stehen könnte. Man muss sich mal vorstellen, dass dieses ganze Skigebiet zu Jack Hattons Zeiten, ja sogar bis gegen 1980 im Winter nur per Bahn zugänglich war - vom heute in Ruinen liegenden Bahnhof gab es einen Tunnel zum Hotel; eine beliebte Abfahrt war über den Roca de Jack hinab nach Juncal und mit dem Abendzug zum Hotel zurück - der ganze Hang, die gesperrte Passstraße mit ihren 29 Kehren, alles in Weiß - das muss ein traumhafter Anblick gewesen sein.

61 Kilometer waren es jetzt von Los Andes bis hier, fast 2100 Höhenmeter - das langt für heute. Wir checken im alten Sporthotel ein, kriegen ein schönes Zimmer und speisen gepflegt zu Abend mit Blick auf die Laguna del Inca und die beeindruckenden Berge ringsum. Auch dürfen wir freundlicherweise Fahrräder und Gepäck in einem nicht mehr genutzten Raum deponieren, bis wir die Camioneta zurückgegeben haben und per Bus wieder hier eintreffen. Nach dem Essen betrachten wir noch eine Weile den Sternenhimmel, während die Leuchtschlange der Trucks ununterbrochen gen Argentinien zieht. Dann schlafen wir den Schlaf der Gerechten - für mich ging heute ein Radler-Traum in Erfüllung.

Sporthotel Portillo

Sechs Kilometer sind es jetzt noch zum Straßentunnel, und von der argentinischen Seite her kann man dann noch zum "Cristo Redentor" hinauffahren, zum Paso Las Cumbres. Das wollen wir unbedingt am nächsten Morgen noch machen, bevor wir an den langen Rückweg zur Autorückgabe gehen - mit unseren schwer bepackten Trekkingrädern ist das praktisch nicht zu schaffen. Früh verabschieden wir uns also vom freundlichen Hotelpersonal in Portillo und sind bald wieder auf der Straße, Richtung Argentinien. Schon nach zwei Kilometern kommt der chilenische Grenzposten, der uns ein Zollerklärungs-Formular für unser Auto aushändigt. Wir nehmen es, füllen es aber nicht aus, denn wir wollen ja gar nicht richtig nach Argentinien, zumal wir den Ausreisestempel erst 30 Kilometer nach der Grenze kriegen können. Weiter, Richtung Tunnel "Cristo Redentor". Doch dann, wir trauen unseren Augen kaum: Rechts weist ein Schild auf die alte Passstraße hoch zum Christusdenkmal, die vorher über 20 Jahre nicht passierbar war. Die Chilenen haben sie doch tatsächlich wieder instandgesetzt, wohl zum 100-jährigen Jubiläum des Denkmals, das im März 1904 aufgestellt wurde. Es sollte damals nach den bis 1902 dauernden Querelen mit Argentinien den dauerhaften Frieden zwischen beiden Ländern beschwören.

Bald fahren wir auf steilem Ripio bergauf. Ist eine ganz tolle Streckenführung, Dutzende von Kehren, beeindruckend wie der Col de Tenda oder die Pasubiostraßen in Südtirol. Kein einziges Auto begegnet uns auf den acht Kilometern bis zum 3400 Meter hohen Pass, einmal muss ich sogar ein paar dicke Steinbrocken aus dem Weg räumen, und öfter mal drehen die Hinterräder durch - doch nach einer halben Stunde sind wir tatsächlich oben beim Denkmal, vor den alten Grenzabfertigungsanlagen. Eine tolle Aussicht nach beiden Seiten belohnt uns, echt Wahnsinn - für mich war das ein absolutes Highlight der ganzen Panamericana-Tour, und den Paso Bermejo mit dem Cristo Redentor hatte ich wirklich schon immer auf der Rechung.

Paso Las Cumbres

Die argentinische Seite des alten Passes ist besser ausgebaut. Bald sind wir unten in Las Cuevas, wo im alten Torhaus heute sogar ein Hospedaje mit Restaurant residiert. Schön, dass die historischen Bauten heute wieder so geschätzt werden! Wäre schön, wenn es der alten Eisenbahn-Scheitelstrecke genauso erginge - doch da wird nicht mehr viel zu machen sein. Die Chilenen bringen es doch glatt fertig, gerade auf den letzten fünf Bahntrassen-Kilometern vor dem Tunnel neue Stützwände für den straßenseitigen Hang zu betonieren. Vom chilenischen Staat her ist die Bahn nicht gewollt, das ist deutlich zu sehen. Es könnte einem die Tränen in die Augen treiben, wie hier mit dem Erbe einer der tollsten Eisenbahnen der Welt umgegangen wird!

Der alte Bahntunnel hat heute eine Betonfahrbahn, ist beleuchtet und dient als Ausweichstrecke für den modernen Straßentunnel. Wie wir mittlerweile wissen, hatte er schon früher eine Fahrbahn, die Bahngleise waren wie bei einer Straßenbahn verlegt, und wenn kein Zug kam, wurde der Schwerlastverkehr im ampelgeregelten Einbahnbetrieb durch den Bahntunnel geführt. Über den Paso Las Cumbres wäre das wohl auch schwer möglich gewesen! Muss ganz schöne Stauschlangen verursacht haben, die damalige Verkehrssituation.

Wir fahren durch den modernen Tunnel, eine schlecht beleuchtete und stark überbeanspruchte Röhre, nach Chile zurück. Und mittlerweile wissen wir auch, dass die Ruinen auf der chilenischen Seite des Tunnels früher der Bahnhof und die Grenzabfertigungsanlagen waren. Am 3. August 1984 wurde der ganze Komplex durch eine Lawine plattgemacht. Es gab 14 Tote, und die Bahnschienen wurden nach diesem Unglück nicht mehr repariert. Das war das Aus für den Transandino, leider trotz gegenteiliger Behauptungen unseres Erachtens für immer. Man redet zwar von einem Bermejo-Basistunnel, aber wie soll das gehen? Der chilenische Tunnelmund müsste vor Beginn der Zahnradstrecke, also auf etwa 1500 Metern bei Rio Blanco liegen. Auf der argentinischen Seite jedoch fällt das Gelände wesentlich flacher ab. Würde der Tunnel auch nur halbwegs waagrecht verlaufen, dann käme er in Argentinien erst nach etwa 100 Kilometern bei Uspallata ans Tageslicht. Jeder kann sich ausmalen, dass dies Unsinn ist, zumal in einer geotektonisch sehr aktiven Zone mit etlichen Verwerfungslinien.

Bald stehen wir wieder vor den neuen chilenischen Grenzanlagen, weiter unten. Dort müssen wir jetzt wort- und gestenreich erklären, warum wir ohne argentinischen Stempel hier antanzen und unsere ganzen Bananen aufessen, obwohl wir sie nachweislich per Kassenbon gestern in Chile gekauft haben. Scheiß Vorschriften - manchmal sind sie wirklich stur wie Panzer, die Chilenen. Aber dann dürfen wir uns doch, recht gut gesättigt, auf die Abfahrt Richtung Los Andes und Santiago machen.

Ein paar Tage später spuckt der Reisebus "Nevada" unter den erstaunten Augen der übrigen Passagiere und außerhalb jeder Skisaison in Portillo zwei Einzelreisende mit kleinem Handgepäck aus. Die machen sich zu Fuß auf den Weg hinüber zum Hotel und freuen sich sehr, dass sie ab morgen endlich wieder Fahrrad fahren dürfen. Unsere Räder und alles Gepäck stehen noch wohlbehalten im Zimmer 102, bald ist wieder alles radelgerecht verpackt und wir verbringen noch eine weitere Nacht im Bergfrieden von Portillo. Ehrlich, fast fällt uns der Abschied schwer.

Vor dem Tunnel "Cristo Redentor"

Die letzten sechs Kilometer bis zum Tunnel sind mit vollem Gepäck ein harter Brocken. Im kleinsten Gang keuchen wir am nächsten Morgen bergauf, noch ein letzter Blick aus der Vogelperspektive auf Portillo, dann vorbei an der langen Baustelle und an den neuen Stützmauern, die kräftige Fortschritte machen. Die Anfeuerungsrufe der Arbeiter helfen uns treten, trotzdem brauchen wir fast eine Stunde, bis wir vor dem schwarzen Tunnelloch stehen, aus dem dicke Abgasschwaden wabern. Erwartungsgemäß (und hier voll zu Recht) dürfen wir diese Röhre nicht mit dem Rad durchqueren; die Tunnel-Betriebsgesellschaft stellt einen Kleinlaster für uns ab. Der Fahrer begrüßt uns mit "Heil Hitler" und meint, wir sollen doch besser gleich wieder umkehren, denn drüben in Argentinien sei alles "muy feo", absolut ätzend und hässlich. Ergo: Ein Arschloch! Aber, wenn man's recht betrachtet, das einzige, das wir in drei ganzen Monaten Chile getroffen haben. So im Nachhinein gesehen ist das doch eine ganz gute Bilanz. Chile war absolut eines der schönsten und angenehmsten Länder, die wir je bereist haben; da würden wir sofort wieder hingehen.

Downhill in Argentinien

Drüben in Argentinien satteln wir die Räder wieder auf und gehen den langen Downhill nach Mendoza an. 200 Kilometer Abfahrt, theoretisch wenigstens. Aber natürlich gibt es wieder Gegenwind - alles andere hätte uns in Südamerika auch ehrlich gewundert. So haben wir wenigstens Zeit, die schöne Landschaft zu betrachten: Der Aconcagua zieht vorbei, mit 6959 Metern höchster Berg Gesamtamerikas, beeindruckend anzusehen; dann die Puente del Inca, eine durch Ablagerungen von Mineralwässern entstandene Naturbrücke über den Rio Mendoza. Daneben stehen die Ruinen des früheren Bad-Hotels, das 1965 durch eine Lawine zerstört wurde. Auch die alten Badehäuser unter der Brücke sind außer Gebrauch, in ihrem fortgeschrittenen Verfallsstadium und mit den durchschießenden Thermalwassern von höchst romantischer Ausstrahlung. Und ständig begleitet uns die Trasse des Transandino, in Argentinien in wesentlich besserem Zustand als auf der chilenischen Seite. Sogar einige der Stahlbrücken sind neu gerichtet; man hat den Eindruck, die Argentinier hätten die Bahn wirklich gerne wieder.

Puente del Inca

Genau 277 Radelkilometer nach Los Andes, nach drei Tagen Fahrt und etlichen vergossenen Schweißtropfen rollen wir in Mendoza vor dem guten Hotel Nutibara aus. 13 Stunden brauchte der Transandino einst für diese Strecke, bevor sich die werten Passagiere den Fahrstaub aus den Klamotten klopfen konnten. Wir feiern die gelungene Anden-Radel-Überquerung mit einer gigantischen Pizza, dann lassen wir den Tag mit einem Bierchen unter wunderschönen Platanen im Straßencafe an der Plaza ausklingen.

1300 Kilometer sind es jetzt noch nach Buenos Aires. Ruta 7, Ruta 8, wir treten zügig, sofern der Wind es zulässt - rundum erstreckt sich die Pampa. Sie ist viel abwechslungsreicher, als man das sich gemeinhin vorstellt. Von wegen endloses Grasland mit Rindviechern - nein, weite Teile sind fruchtbares Ackerland, Wäldchen, Flussläufe, Seen, sogar ein richtiges kleines Gebirge säumt unseren Weg, die Sierra San Luis. Wir radeln teilweise durch Alleen, die lebendigen Städtchen könnten ohne Weiteres in Südfrankreich oder in der Emilia Romana liegen, die Menschen sind freundlich, das Essen Super und spottbillig.... Aber irgendetwas fehlt - der rote Faden! Die Panamericana war es eben, die unseren Motor am Laufen hielt, die Linie Anchorage - Ushuaia, so wie vor zehn Jahren schon die Route 66. Bikeamerica ist jetzt zur gemeinen Urlaubs-Radtour mutiert, business as usual - auch schön, aber die Luft ist raus. Und deswegen endet hier unser Bericht. Ciao, Freunde! Aber wir sind sicher, dass noch eine Menge tolle Fernradtouren auf uns und unsere Räder warten.

Hasta la Vista -              Sybille   und   Thomas

 

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