www.bikeamerica.de - Reisebericht über unsere Panamericana-Tour 8

Centroamerica

Auf nach Panama!

Managua, Hotel La Fragata, Zimmer 2. An der Wand hängt ein Ölbild mit Winterlandschaft (K. Selinger, 94), drunter stehen die Schröders im Strom der Air Condition, die einen Krach macht wie ein Diesel, und schwitzen trotzdem in wahren Sturzbächen. Tja, das haben wir nun davon - wir wollten ja unbedingt unsere nächste Etappe in Nicaraguas saunaschwüler Hauptstadt beginnen. Ein Flug mit Fahrradtransport hierher war leider nicht zu kriegen, so haben wir uns halt mit dem Expressbus von San José, Costa Rica, zur Stippvisite in die Kapitale des nördlichen Nachbarlands schaukeln lassen. Unsere Räder stehen derweil in San José im Hotel La Amistad in Obhut des deutschen Eigentümers Wolfgang. Das heißt, derzeit nur eines, denn die Deppen beim Check-in haben es doch tatsächlich fertiggebracht, das andere nicht ins Flugzeug zu laden, weil sie den Gepäckanhänger nicht richtig angebracht haben und der dann wieder abgefallen ist. In einer Woche erst soll das Rad mit dem nächsten Flieger kommen - wie gut, dass wir uns ohnehin vorgenommen hatten, neben dem Bus-Abstecher nach Managua auch noch Costa Ricas Norden ein wenig per Auto zu erkunden.

Nicaragua wird von der Weltbank als eines der ärmsten Länder der Welt geführt. Das Pro-Kopf-Einkommen ist (neben dem von Bolivien) das niedrigste Amerikas; 70% der Menschen leben unter der offiziellen Armutsgrenze. Früher ließ die üble Diktatoren-Dynastie der Somozas das Land ausbluten, unter tätiger Mithilfe der legendären United Fruit Company und unter dem wohlwollenden Auge von Uncle Sam, der selbstredend auch nach dem Putsch der sandinistischen Guerilleros 1979 der Somoza-Familie in den USA Asyl gewährte. Diese hat heute noch ganz legal ihr dem nicaraguanischen Volk geklautes Geld in etlichen Konzernen und Firmenketten in California stecken.

Managua - alte Kathedrale

1972 dann kam ein Jahrhundert-Erdbeben über Nicaragua, mit Epizentrum direkt unter der Hauptstadt Managua, wo nur vier (!) Gebäude stehen blieben - darunter bezeichnenderweise das Grand Hotel, der Nationalpalast und die Bank of America. Die Kathedrale steht noch heute als Ruine da, von Rissen durchzogen, mit leeren Fensterhöhlen und notdürftig abgestützt. Sie aufzubauen lohnt nicht, denn direkt unter ihr laufen 14 geotektonische Verwerfungslinien zusammen. Selbstverständlich stellte die Welt nach dem Erdbeben auch für Managua eine Menge Hilfsgüter zusammen. Diese gab es alsbald in den Läden der Somozas zu kaufen, und auch die gespendeten Gelder versickerten schnell in obskuren Kanälen.

Nach der Revolution 1979 führten die Sandinisten freie Wahlen durch, aus denen der Sozialist Daniel Ortega als Sieger hervorging. Das hatte natürlich sofort ein Handelsembargo der USA zur Folge, wie man das ja auch von Cuba kennt. Zudem unterstützte Uncle Sam die Contra-Rebellen und verminte Nicaraguas Häfen. Das Pro-Kopf-Einkommen und das Bruttosozialprodukt sanken daraufhin viele Jahre lang permanent in noch tiefere Tiefen, und seit den 90er-Jahren gibt es als Folge daraus eine neoliberale Regierung mit starker Bindung an die USA, welche ihren Hinterhof mal wieder mit fragwürdigen Mitteln unter Kontrolle gebracht hat.

Unglaublich, mit welchen Handicaps Nicaragua leben muss! Dann gab es noch Hurrikan Mitch, unzählige weitere Erdbeben, Überschwemmungen - trotzdem strahlen die freundlichen, liebenswerten "Nicas", wie die Nicaraguaner sich nennen, eine unglaubliche Lebensfreude und Zuversicht aus. "Yo creo en Nicaragua", ich glaube an Nicaragua, steht auf Bannern über der Straße und auf so manchem Autoaufkleber. Die Nicas glauben erfreulicherweise auch an die Demokratie, und bei der letzten Präsidentschaftswahl gab es eine Wahlbeteiligung von sagenhaften 96%. Und langsam wächst auch ein bescheidener Tourismus.

Blick auf Downtown Managua

Managua jedoch wirkt auf den ersten Blick nicht gerade touristisch, sondern eher wie eine gigantische Schrebergarten-Kolonie, durchsetzt von sechsspurigen Autostraßen, einigen klimatisierten Shopping Malls und amerikanisch anmutenden Tankstellen. Wir haben noch nie eine so leere Stadt gesehen. Die meisten Nicas hausen in Baracken oder kleinen Steinhäusern auf den zunächst fast unbebaut wirkenden Grundstücken, schlagen sich als Lohnarbeiter, Schuhputzer und Obstverkäufer durch, viele haben auch ein klappriges Taxi. Die freundliche Receptionistin im Hotel La Fragata zeigt uns, wie man den Lichtschalter hinfummeln muss, damit das Licht anbleibt, und bringt den Vorhang wieder an, der beim Zuziehen mitsamt der Schiene von der Decke gefallen ist.

Neue Kathedrale

Die neue Kathedrale wird im Reiseführer treffend als "post-nuklearer Betonbunker" beschrieben, und von der Strandpromenade blickt man auf den Lago de Managua, in dem eine unglaubliche braune Jauche schaumgekrönt ans Ufer schwappt. Trotzdem hat die Stadt absolut nichts Deprimierendes, den Nicas sei Dank.

Viel hübscher ist jedoch Granada, am Ufer des riesigen Lago de Nicaragua, eine Busstunde von Managua entfernt (übrigens Partnerstadt von Frankfurt/Oder aus der Zeit, als Nicaragua sich anschickte, ein sozialistisches Bruderland der DDR zu werden). In Granada scheint die Zeit stehen geblieben zu sein, hier gab es keine Erdbebenschäden, vor bunt gestrichenen Kolonialgebäuden an der Plaza stehen Pferdekutschen und warten auf Fahrgäste, in den Gassen pulsiert das Leben. Tourismus gibt es jedoch auch hier noch kaum, obwohl man sogar baden kann. Romantisch steht der alte Bahnhof am Ufer vor der Mole, seine Gleise sind (wie fast alle in Mittelamerika) längst gekappt, und man kann mit einer klapprigen Fähre auf die Isla de Ometepe hinausfahren, die von zwei imposanten Vulkanen dominiert wird. Im Lago de Nicaragua soll es die einzigen Süßwasserhaie der Welt geben, deren Vorfahren vor Jahrtausenden den Rio San Juan heraufgeschwommen sind. Um den Rio San Juan und um seine Mündung in den Atlantik breitet sich ein wahrhaftes tropisches Regenwaldparadies aus - auf jeden Fall, Nicaragua ist ein sympathisches und ungeheuer interessantes Land, das sich sicher zu entdecken lohnen würde, wenn man halt mal wieder ein bisschen mehr Zeit hätte. Wir drücken den Nicas für die Zukunft kräftig die Daumen!

Granada - an der Plaza Central

Am nächsten Morgen sitzen wir um 5.00 Uhr im Bus, Kurs Costa Rica. Lange Zeit fahren wir am Lago de Nicaragua entlang, der fast wie ein Meer wirkt. In üppig grüner Hügellandschaft grasen Rinder, überschattet von gigantischen, schirmartigen Bäumen, dahinter vulkanische Bergketten am Horizont. Dann der Grenzübertritt nach Costa Rica: Geschlagene drei Stunden stehen wir in verschiedenen Warteschlangen, Passkontrolle, Ausreisestempel, Einreisestempel, Zollerklärung, Gepäckkontrolle bis zu den gebrauchten Socken, Entrichtung einer Ausreisegebühr, es gibt sogar selbsternannte "Einreisebeschleuniger", arbeitslose Jugendliche, die sich für ein paar Dolares um Einzelreisende kümmern. Wie gut, dass unsere Busgesellschaft das alles im Wesentlichen regelt - und wir hatten uns schon gewundert, warum sie neben dem Fahrer noch zwei Hiwis dabei haben. Ja, und dann muss selbstverständlich noch der Bus desinfiziert werden, eine ungeheuer sinnvolle Maßnahme, denn der gerade niedergehende tropische Regenguss wäscht gleich alles wieder ab.

Auch ohne Grenzabfertigungs-Zeremoniell und ohne Schlagbaum hätten wir sofort gemerkt, dass wir jetzt in einem anderen Land sind. Keine armseligen Bretterbuden säumen mehr den Weg, dafür hübsche, gepflegte Fincas, kaum Müll liegt im Gelände, teilweise fahren wir durch Wälder mit unglaublicher Pflanzenvielfalt, immer wieder blühende Strelizien, Hibiskus und Fleißige Lieschen an der Straße. Costa Rica setzt konsequent auf den Naturschutz, weist große Landesflächen als Nationalpark aus und tut gut daran. Schon 1949 hat man hier das Militär abgeschafft; Costa Rica gilt als stabile Demokratie und als "Schweiz Mittelamerikas", was sowohl bei Investoren als auch bei Touristen gut ankommt.

Kurvenreich windet sich die Panamericana langsam, aber stetig in die Höhe, und am frühen Nachmittag sind wir in San José im ansprechenden Valle Central auf 1200 Metern Höhe, in Costa Ricas einziger Großstadt (eine knappe Million Einwohner), umgeben von Kaffee- und Zuckerrohrpflanzungen. Aah, dieses Klima! Tagsüber hat es gut 25 Grad C., nachts aber wird es frisch, und in Wolfgangs Hotel müssen wir uns nachts sogar zudecken und können mal wieder so richtig durchschlafen.

San José - Fußgängerzone

San José ist eine völlig andere Stadt als Managua, das merkt man gleich. Auch hier haben die häufigen Erdbeben eine Menge der alten Kolonialgebäude platt gemacht. Ihre modernen Nachfolger haben nicht unbedingt etwas Inspirierendes für den Architekturfan, aber die ganze Stadt schwirrt und ist voller Leben. Überall gibt es Parks mit tollen Pflanzen, die man bei uns als Topfpflanzen kennt und die hier in Baumgröße auftreten. Dafür gibt es keine Hausnummern; Wolfgangs Adresse beispielsweise ist: Avenida 11, 100 m westlicht der Hauptpforte vom Hospital Calderon. Unsere Brötchen kaufen wir bei der Panaderia Schmidt, und abends essen wir im "Balcon de Europa" Pasta und ein astreines Tiramisu. Die Wirtschaft ist fantastisch gemütlich, mit Mahagonitäfelung und alten Fotos an der Wand, Ventilatoren an der Decke, jeder Tisch besetzt, viele Europäer da. Franco, der Wirt, begrüßt alle Gäste an der Tür persönlich mit ofenwarmem Kräuter-Knoblauch-Brot und hat für jeden ein paar Worte übrig. Irgendwie erinnert der Laden hier an einen Club von Europäern in der tropischen Diaspora, es fehlen eigentlich nur noch deutsche und amerikanische Zeitungen sowie ein Polizist mit Tropenhelm an der Bar, der einen Bacardi kippt, um seiner Dienstpflicht zu entgehen. Und dann gibt es noch die gemütliche Terrasse des Grand Hotels und das Cafe Mundo, ein Haus mit Säulengalerie wie in den US-Südstaaten, tollem Garten und fantastischer Pizza, alles Super Kneipen mit bestem Futter in gepflegt-tropischem Ambiente - also, verhungern muss man in San José nicht.

Mit Wolfgangs kleinem Subaru fahren wir dann zum berühmten Monteverde-Bergnebelwald hinaus, um im dortigen Reservat vielleicht (wenn schon nicht in Guatemala) doch endlich mal den sagenhaften Quetzal zu sehen. Zunächst mal geht es über die Autobahn, die wir aber mit Fußgängern, Fuhrwerken und Handwagen teilen müssen, Richtung Puntarenas. Etwas über 100 km sind es bis zur Abzweigung nach Monteverde, dann kommen wir auf eine derart miserable Schotterpiste, dass wir für die restlichen 35 km glatt mehr als zwei Stunden brauchen. Der Ort vor dem Reservat heißt Santa Elena, dort gibt es etliche Hotels, mehrere Läden, eine Motorradhandlung, einen Baustoffmarkt und einen Copyshop. Es ist uns völlig schleierhaft, wie sie Fensterscheiben, Getränkeflaschen und den Kopierer bei dieser Holperstraße unbeschadet nach Santa Elena bringen konnten - zum Glück sind wir nicht mit dem Fahrrad hier; wir hätten jeden Meter geschoben. Dann checken wir ein im Hotel Belmar, einem wunderschönen Holzhaus, fast wie ein Schweizer Chalet. Gleich hinter dem Haus beginnt der Urwald, und vom Balkon sieht man über beeindruckende, nebeldurchzogene Wälder bis zum fast 1500 Meter tiefer liegenden Pazifik hinunter. Nachts heult ein starker Wind ums Haus, die Bäume rauschen unheimlich und wir fühlen uns wie am Ende der Welt.

Monteverde - Hotel Belmar

Am nächsten Morgen machen wir uns früh zum Naturreservat auf - und haben Glück, dass wir überhaupt hineingelassen werden! Nur 120 Personen täglich finden Einlass, dann wird rigoros dichtgemacht. Der Park gehört einer costaricanischen Forschungsgesellschaft, und die will die Natur und vor allem die Tiere nicht zu stark belasten. Das Projekt ist gemeinnützig; die nicht unerheblichen Eintrittsgelder werden für die Entlohnung der 40 Vollzeitbeschäftigten und zum Ankauf neuer Waldgebiete verwendet. Zum Glück ist gerade keine Hauptsaison, sonst hätten wir reservieren müssen - hoffentlich ist der Quetzal auch daheim, wenn wir schon einen solchen Aufwand treiben.

Im Park werden uns zunächst mal anhand einer Diashow die zu sehenden Pflanzen und Tierlein erläutert. Unser Führer heißt Mark und ist US-Amerikaner; er führt uns zuerst durch die nähere Umgebung des Eingangs und zeigt uns alle möglichen Pflanzen, darunter zahlreiche Orchideen, von denen manche so klein wie der Nagel des kleinen Fingers (!) sind. Hinter dem Häuschen, wo die Diashow war, sind Behälter mit Honigbrühe aufgehängt, darum stehen ein paar Bänke angeordnet. Und von den Bänken aus kann man hautnah beobachten, wie unzählige Colibris durch kleine Sauglöcher den Honig aus den Behältern trinken. Das ist wirklich erstaunlich, wie wenig scheu diese Vögel sind, man kommt mit dem Foto fast auf einen halben Meter heran. Colibris haben einen Herzschlag von um die 1000 pro Minute, das verleiht ihnen unglaubliche Zahlen von Flügelschlägen; sie können in der Luft stehen bleiben, aber auch so ruckzuck abhauen, dass man die Flugbahn mit bloßem Auge schiergar nicht verfolgen kann. Die Vögel umschwirren uns wie ein Bienenschwarm, es wird einem beinahe unheimlich. Und wenn man etwas Rotes anhat, meinen sie, man sei eine große Blume und kommen bis auf 10 cm her, um das Honigangebot auszuchecken.

Colibris

Mark zeigt uns später im Urwald die Blüten, von deren Nektar sich die Colibris hauptsächlich ernähren, sie sind feuerrot wie Geranien. Zig Arten von Colibris gibt es hier, sie leuchten in den allerschönsten Farben, glänzender als der aufwendigste Metalliclack. Also, so was haben wir noch nie gesehen, am Ende der Führung werden wir hier nochmals herkommen.

Dann führt Mark uns auf einem Trail in den Dschungel. Morgens bzw. vormittags (es ist mittlerweile 9.30 Uhr) ist die beste Zeit, um den Quetzal zu beobachten. Und Mark kennt die Stellen genau, wo die Vögel vorkommen. Der Quetzal ist kein Wandervogel, er steht meistens sein Leben lang im gleichen Revier und ernährt sich von wilden Avocados - wo die wachsen, muss man ihn suchen. Und so vergeht auch nur wenig Zeit, bis wir den ersten sehen, ein Weibchen zwar, das nicht so schöne lange Schwanzfedern hat, und auch relativ weit weg, aber unheimlich beeindruckend. Kurze Zeit später lässt sich auch ein Männchen blicken. Wir sind uns absolut sicher, noch nie auf der Welt einen schöneren Vogel gesehen zu haben. Sein Gefieder ist leuchtend grün mit roter Brust, er hat hübsche schwarze Knopfaugen und einen kurzen gelben Schnabel. Lustig sind seine Struwwelpeter-Frisur, die ihm irgendwie ein knitzes Aussehen verleiht, und seine über 1 m langen Paradiesvogel-Schwanzfedern. Ein zweites Männchen taucht noch auf, beide jagen sich dann kreuz und quer durch das Blätterdach, um ihr Revier und ihre Avocados zu verteidigen, ein unglaublich prächtiger Anblick. Wir haben wirklich ein Riesenglück, denn an manchen Tagen lässt sich kein Quetzal blicken; Quetzale sind in weiten Teilen ihres ursprünglichen Verbreitungsgebiets heute ausgestorben. Dieser Vogel hat eben einfach das Pech, dass er zu schön ist - Spatzen wird es immer geben, während die Federn des Quetzals früher für den Schmuck der Indianerhäuptlinge und später zur Dekoration der Hautevolee-Damenwelt herhalten mussten. Und so ist es nicht hoch genug zu preisen, dass man in Costa Rica den Vogel unter Schutz gestellt und ihm dieses Reservat geschaffen hat.

Quetzal (Handtuch aus Guatemala) In der Schmetterlingszucht

Zum Schluss schauen wir nochmals bei den Colibris vorbei, die immer noch gewaltig schwirren und ihre Honigbrühe jetzt fast leergepichelt haben. Dann fahren wir noch zu einer Schmetterlingszucht hinüber, die Mark uns wärmstens empfohlen hat. Diese gehört auch einer privaten Forschungsgesellschaft. Wir sehen dort die schönsten bunten Schmetterlinge der Gegend in verschiedenen Volieren, tolle Anlage. Man kann schöne Fotos machen, und wenn man sich auf ein Bänkchen setzt, sitzen einem die Schmetterlinge aufs Knie. Dazu kriegen wir eine erstklassige Erläuterung durch eine amerikanische Praktikantin, sie zeigt uns Schmetterlingseier, Raupen, Puppen, eben ausschlüpfende Schmetterlinge, den Halloween-Butterfly und die durchsichtigen Glasflügler, die wir von selbst bestimmt nicht bemerkt hätten. Es ist auch sehr interessant, was die Raupen und Schmetterlinge unternehmen, damit sie nicht von den Vögeln gefressen werden. Manche tarnen sich als Blatt oder als Vogeldreck, andere simulieren Raubvogelaugen oder versprühen Giftstoffe bzw. für Vögel unangenehme Düfte. Eier und Raupen werden vom Personal der Zuchtanlage sofort eingesammelt, um sie weiterzubetreuen. So können recht viele Schmetterlinge tatsächlich überleben und zum Teil auch in anderen Gebieten ausgesetzt werden.

Tja, Monteverde ist ein unbestreitbares Highlight jedes Panamericana-Trips. Faszinierend auch, wie anders diese kühlen Bergnebelwälder sind z.B. gegenüber den Tiefland-Regenwäldern in Guatemalas Petén-Region - und wie gefährdet! Die berühmten roten Pfeilgiftfrösche, früher in Monteverde sehr verbreitet, sind mittlerweile hier fast ausgestorben; sie gelten als Indikatorspezies für Klimaveränderungen - mehr ist dazu wohl nicht zu sagen. Dann fahren wir, nach einem Abstecher auf den 3400 Meter hohen Irazu-Vulkan, in dessen giftgrünem Kratersee es geheimnisvoll blubbert, nach San José zurück.

Vulkan Irazu

Acht Tage sind wir jetzt im Land, den Nicaragua-Abstecher einbezogen, aber was immer noch fehlt, ist mein Fahrrad. Langsam liegen die Nerven blank, zumal keiner so recht zuständig sein will. Thomas Cook Airlines besitzt kein eigenes Büro in San José, als Kontaktadresse fungiert eine obskure Firma ATS, aber dort geht nie einer ans Telefon. Über ein verzweifeltes Notruf-E-Mail an unser heimisches Reisebüro erhalten wir wenigstens eine offizielle Vorgangsnummer, aber wann das Fahrrad kommt, steht nach wie vor in den Sternen. Zum Glück gibt es eine Lufthansa-Agentur, die zwar mit der Angelegenheit nichts zu tun hat, aber die nette Leena vom Ticketschalter kennt wenigstens die Firma ATS, und denen machen wir jetzt Dampf aus sämtlichen Rohren. Nach und nach und im Zwei-Stunden-Takt telefonieren wir mit einem gewissen Roberto, einem Señor Dellmark und einem Mr. Muir. Einmal heißt es, das Rad kommt in zwei Stunden ins Hotel, einmal sei es angeblich noch gar nicht in Costa Rica, dann hängt es offenbar beim Zoll fest. Wir hingegen haben das Gefühl, unser Problem interessiert hier (außer Leena) keine Sau. Schon vier Zusatz-Hotelnächte à 58 US$ sind durch diese Schlamperei angefallen, die werden wir wohl nach unserer Rückkehr einklagen müssen. Ganz zu schweigen von der Sorge, dass wir in Panama City einen Anschlussflug gebucht haben, und der wartet mit Sicherheit nicht.

So geht es weiter, Roberto hat plötzlich einen Anrufbeantworter, Leena verseggelt dafür Dellmark, ich sage Muir, was ich von ihm halte (der legt dann einfach auf); am zehnten Tag nach unserer Ankunft dann fährt  plötzlich ein Lieferwagen am Hotel vor, und ein unbeteiligt wirkender Pomadenheini wirft einen gestresst aussehenden Klumpen Metall ab - Röchel, würg, das soll mein Fahrrad sein? Lampe fehlt, alle Züge geknickt, Schutzbleche verbogen, diverse Schrauben abgerissen, Lenker einmal um seine eigene Achse gewürgt  - trotzdem sind wir fast noch dankbar über diesen Haufen Alteisen, jetzt können wir wenigstens tätig werden. Zwei Stunden brauchen wir, bis wir diese Trauerweide auf der Reihe haben, Züge werden neu verlegt, Schrauben ersetzt, für Licht müssen wir unterwegs halt mit der Taschenlampe sorgen. Immerhin dreht sich auf der kurzen Probefahrt alles, und wir suchen gleich mal die richtige Ausfallstraße zur Carretera Interamericana Sur. Die gute Leena ruft nochmal an und gibt uns die mittlerweile im Computer registrierte Thomas-Cook-Schadensnummer, die sie per Telefonrückfrage in Chicago ermitteln konnte und die vor allem nicht schon verjährt ist, bis wir nach Alemania zurück kommen. Wenigstens Leena hat sich in San José bemüht, dass unsere Nervenstränge nicht vollends gerissen sind - herzlicher Abschied, wir werden ihr von Panama City eine Karte schicken. Dann ausführlich geduscht, und zur Feier des Tages gibt's noch ein Super-Nudelessen im Café Mundo.

Start am Hotel "La Amistad Inn"

Fast eine Stunde brauchen wir am nächsten Morgen, bis das ganze Gepäck auf der Reihe und alles richtig festgezurrt ist. Nach längerer Radel-Abstinenz fehlt halt noch die Routine, doch dann eiern wir bald, wie immer anfangs noch etwas wackelig, mit unseren vollbepackten Fuhrwerken aus San José hinaus. Und gleich bei der ersten Etappe zieht die Carretera Interamericana alle Register. Vor uns liegt nämlich nur 90 Kilometer voraus der Cerro de la Muerte, mit rund 3300 Höhenmetern höchster Punkt der gesamten Panamericana! Schon die ersten 20 Kilometer bis Cartago, in Veröffentlichungen für Autofahrer als weitgehend flach beschrieben, gleichen einer Sinusschwingung mit etlichen bis zu 12%igen Steigungs- und Gefällestrecken und fordern uns das Letzte ab. Und danach beginnt der lange, absolut gnadenlose Anstieg zum "Todespass", wie der Cerro de la Muerte auf Deutsch heißt. Ob er seinen Namen wohl davon hat, dass schon diverse Radfahrer hier aus den Schlappen gekippt sind? Heute gibt es sogar ein paar Schiebeeinlagen, was bei uns wirklich extrem selten vorkommt. Zudem süffeln wir gleich bei der ersten Tankstelle zwei Gatorade, eine Cola und zwei Flaschen Wasser, dann gibt's in einem kleinen Bretterrestaurant eine Suppe, ein Bier und nochmals eine Menge Wasser, und schon an der nächsten Kneipe schieben wir nochmal zwei Cola nach. Trotzdem müssen wir bis am späten Abend nicht pinkeln; alles versickert im gestressten System.

Auffahrt zum Cerro de la Muerte

Gemein ist der Cerro de la Muerte auch, weil er keinerlei Erfolgserlebnis bietet. Die Alpenpässe zuhause haben schöne Serpentinenabschnitte, dazu delektiert sich das Auge oft an interessanten Felsformationen oder anderen landschaftlichen Highlights. Hier strampeln wir durch eine gleichförmige grüne Hügellandschaft und sind eingehüllt von ausgedehnten, mit Nebelschwaden durchsetzten Urwäldern. Und wenn sich mal die Wälder etwas lichten, sieht man ringsum wieder nur grüne Hügel und Wolkenfetzen, unglaublich sowas. Nur die vielen bunten Fleißigen Lieschen an den Straßenrändern und ab und zu eine kleine Finca bieten dem Auge Abwechslung. Andere Radler gibt es außer uns schon längst keine mehr, obwohl Costa Rica eine ganz ausgedehnte Freizeitradler-Szene hat. Nur wir strampeln, schieben, fluchen, schnaufen, unterstützt immerhin durch aufmunterndes Gehupe der vorbeischleichenden Trucks, deren Fahrer mit erhobenem Daumen aus dem Fenster winken. Gemeinerweise verlieren wir auch immer wieder einen Teil der mühsam gewonnenen Höhe auf kurzen, schütteligen Abfahrten.

Kurz vor dem Dämmern sehen wir linker Hand ein geschnitztes Schild "Hotel de Montaña Cerro Alto". Erst 47 Kilometer haben wir heute zurückgelegt, trotzdem lassen wir uns nicht lange bitten und beziehen für nur 16 US$ eine wunderschöne kleine Holz-Berghütte mit gutem Bett, offenem Kamin, Kochgelegenheit und (fast) heißer Dusche. Gottseidank müssen wir heute nicht zelten; wir sind hier voll im Nebelwald à la Monteverde, in 2200 Metern Höhe, nachts wird es zapfig kalt und ein stürmischer Wind weht Nebelfetzen ums Haus. Rodolfo, der nette Wirt, verkauft uns ein paar Bierlein, dann kochen wir eine gepflegte Portion Rigatoni Bolognese aus unseren Beständen und fühlen uns zum ersten Mal an diesem Tag sauwohl. Später trinken wir noch ein paar Tassen Tee und schlafen dann wie die Steine.

In Rodolfos Berghütte

Am nächsten Morgen ist es sonnig und klar, die Nebelschwaden haben sich auf wenige weiße Wölkchen reduziert. Von unserer Hütte aus haben wir einen monumentalen Rundblick über das imposante Grün; ab und zu steigt die Rauchfahne einer Finca empor, nur vereinzelt sieht man ein rotes Dach. Ja, und, was steht da vor Rodolfos Wohnhaus? Es ist ein wunderschöner kleiner Toyota-Bus mit der Aufschrift "Transporte de Turistas". Und da werden wir, wir schwören es, zum bisher ersten und einzigen Mal bei einer Bergetappe schwach, handeln mit Rodolfo einen fairen Preis aus, und bald stehen unsere Räder zwischen den Sitzreihen des Busses, wir lümmeln uns in bequeme Polster und der kräftige Diesel geht die letzten 1100 Höhenmeter des Cerro de la Muerte an.

1100 Höhenmeter, das hört sich nicht viel an, zumal der Anstieg sich auf 40 Kilometer verteilt. Doch wenn man alle Zwischenabfahrten einrechnet, sind es bestimmt gut 1600 Höhenmeter. Mein Gott, was für eine Straße! Mal geht es hinauf wie am Dach, dann genauso wieder hinunter. Wir haben per Rad schon das Stilfser Joch, den Col de la Lombarde und den San Bernardino gepackt, aber hier hätten wir heute unter Garantie wieder stundenlang geschoben. Plötzlich sind wir oben. Hätte Rodolfo nicht gehalten, wir hätten es nicht gemerkt, dass wir auf einem Pass sind, kein Schild da, nur dass der grüne Hügel hier etwas höher scheint als die umliegenden, dabei immerhin knapp 600 Meter höher ist als das Stilfser Joch und 500 Meter höher als der Col de la Bonnette, der höchste Alpenpass überhaupt. Rodolfo schüttelt uns die Hand und wünscht eine gute Reise, dann lassen wir es rollen und gehen 2500 Höhenmeter Downhill an.

Hostal Georgina (Grünstich von versauter Entwicklung)

Kurz unterbrechen wir unsere Abfahrt noch beim Hostal Georgina, das einladend links der Straße liegt und mit seinen 3100 Metern Höhe als höchstes Hotel Mittelamerikas gilt. Das ist genau der richtige Platz für das zweite Frühstück, eigentlich  ein "Must See" und bei allen Panamericana-Fahrern berühmt. Und wer bislang noch nie einen Colibri gesehen hat - hier hängen direkt vor den Restaurantfenstern die Nektarbehälter, und man frühstückt praktisch Auge in Auge mit den aufgeregten kleinen Flattermännern.

Dann geht es ab, 40 Kilometer Schussfahrt, mitten hinein in die dampfenden, schwülen Tropen. Bald sind die Hände vom Bremsen verkrampft, die Felgen glühen, oft müssen wir in voller Fahrt badewannengroßen Schlaglöchern ausweichen. Ein freundlicher Polizist gibt uns mit eingeschaltetem Blaulicht Geleitschutz, damit wir von den motorisierten Verkehrsteilnehmern nicht riskant überholt werden, und irgendwann sind wir unten in San Isidro de El General. Wir checken ein im Hotel Amaneli, die Bremsen haben alle ca. 3 mm Belag verloren und müssen neu eingestellt werden, dann wäscht Sybille unsere Klamotten, die in der feuchten Luft selbst bis am nächsten Morgen noch nicht richtig trocken sind, und in einer Nacht, die sogar in Managua noch als warm durchgegangen wäre, wälzen wir uns von einer Seite auf die andere und denken sehnsüchtig zurück an Rodolfos Berghütte, denn ab jetzt wird das Klima bis Panama City so bleiben, und auf eine Air Condition darf man höchstens in größeren Städten hoffen.

Bald ist uns klar: Das ist der bislang absolut brutalste Abschnitt unserer ganzen bisherigen Panamericana-Tour! Nicht so wegen dem Gelände, das nur sanftwellig ist und dessen kurze Anstiege man zuhause locker mittels Zwischensprint im großen Blatt bewältigen würde. Aber man stelle sich vor, man fahre Heimtrainer, so ca. 150 Watt, das Ganze in einer Sauna etwa nach dem zweiten Aufguss. Der Schweiß fließt in Strömen, vom Kopf über Hals, Rücken, Hintern und Beine in die Schuhe, wo er sich mit dem Sonnenöl zu einer wirklich glitschigen Schmiere sammelt; die Trikots und die Helme stinken wie ranzige Margarine, die Ledersättel werden stumpf und kriegen weiße Salzränder. Aber die freundlichen "Ticos", wie die Costaricaner sich nennen, feuern uns ständig an, aus vorbeifahrenden Autos, aus der Hängematte oder aus den zahlreichen Bananen- und Ananasplantagen ringsum. Und selbst die lustigen, kreischenden grünen Papageien, die oft in Schwärmen vorbeiflattern, scheinen "Vorwärts!" zu krächzen.

Am frühen Nachmittag gehen jetzt fast täglich tropische Regengüsse nieder, oft in Tateinheit mit einem kräftigen Gewitter. Bald lernen wir es, unseren Tagesablauf der Natur anzupassen; bei diesen Regenmengen, wo man kaum bis zur anderen Straßenseite sieht, ist an Radeln ohnehin nicht zu denken. So starten wir halt jeden Morgen gegen 6.00 Uhr zu Tagesetappen von etwa 60 bis 80 Kilometern, dann quartieren wir uns immer gegen Mittag ein in Beherbergungsbetrieben höchst unterschiedlicher Qualität: In Buenos Aires (Costa Rica) zum Beispiel in einem vergammelten Motel, wo sie die Zimmer auch stundenweise vermieten; in Palmar Norte in einem Holzhaus, das auf Stelzen steht und das nach dem täglichen Gewitter zur Insel wird (dafür tut die Klospülung nicht, und vis à vis quaken stundenlang die Frösche); in Ciudad Neily jedoch für nur 30 US$ in einem nagelneuen Hotel mit Air Condition und allem Komfort, das jedes Holiday Inn dagegen alt aussehen lassen würde. Und einmal wird mein Fahrrad über Nacht von einer halben Million winziger Ameisen ("Hornillos de Azucar") angefallen. Sie haben sich bereits im Halter der Lenkertasche eingenistet und schicken sich gerade an, durch die Löcher für das Rücklichtkabel in den Rahmen einzusteigen. Glücklicherweise leiht mir die Hotelmaid ihre chemische Keule, eine gefährlich aussehende Sprühdose, und bald bin ich wieder alleiniger Herr über meinen Drahtesel.

Tropenregen in Palmar Norte

Eines Morgens um 8.00 Uhr kommen wir an die Grenze nach Panama. Ausgesprochen schnell können wir diesmal aus Costa Rica ausreisen; wir erreichen den Schalter gerade noch, bevor ein größerer Reisebus seine Touristen-Ladung ausspuckt und sich wieder lange Schlangen bilden. Die Imigración von Panama hätten wir dann beinahe nicht gefunden, sie ist in einem kleinen Kabuff in einer Nebenstraße angesiedelt. Auch gibt es keinen Schlagbaum; man könnte teilweise locker und unkontrolliert von einem Land ins andere wandern und wer weiß was schmuggeln. Aber in unserem Fall würde sich eine nicht dokumentierte Einreise rächen; beim Abflug von Panama City brauchen wir unbedingt den Einreisestempel im Pass.

Die Carretera Interamericana ist in Panama zunächst einmal ein vielfach geflicktes Band aus Betonplatten, das irgendwie an die gute alte Route 66 erinnert. Später wird die Straße dann besser und auch zum Teil vierspurig, und das Klima wird eher noch schwülheißer als in Costa Rica. Selbst die Panamesen müssen schwitzen, wie wir an den Straßenbauarbeitern und bei einem netten Radler sehen, der uns ein paar Kilometer begleitet und alles mögliche wissen will (woher, wohin, warum, wieviele Kinder bzw. warum keine). Vor lauter Schwüle fühlen wir uns wie Ameisen, die sich in einem Topf mit heißer Melasse vorwärts bewegen sollen. Und wir schlucken Unmengen Wasser wie ein Auto mit defektem Kühlsystem. Nachschubmäßig jedoch muss man in Panama keinen Mangel leiden: Es gibt jede Menge super sortierte Supermärkte mit vielen erstklassigen US-amerikanischen Waren, dazu mexikanisches Tecate-Bier und Warsteiner (!). Das ganze Land Panama erinnert überhaupt irgendwie an die USA, schon die Anlage der Straße mit viel gemähtem Grün an den Seiten und schmucken Häusern und Farmen rundum. Der US$ ist sogar die Landeswährung, und ab sofort hat auch wieder jedes Hotel eine Air Condition.

Die Panamesen sind eine interessante Mischung aus Indianern, Weißen, Schwarzen und einem Schuss Asien und haben irgendwie etwas Weltbürgerartiges an sich. Freundlich sind sie auch, sie stehen den Nicas und Ticos kaum nach; jeder redet ein paar Worte (wenn wir's nur alles verstehen würden), und fast kein Autofahrer vergisst, aufmunternd zu hupen und aus dem Fenster zu winken.

Panamericana in Panama

Von Panama, müssen wir zugeben, hatten wir bisher nicht die geringste Ahnung. Wir wussten praktisch nur, dass es dort einen Kanal gibt und dass Janoschs kleiner Bär und Tiger dorthin wollten, weil sie eine Kiste mit der Aufschrift "Panama" gefunden hatten, die nach Bananen roch. Flach und urwaldartig hatten wir uns das Land vorgestellt, aber schon ersteres stimmt in keinster Weise, denn die Panamericana schenkt uns in Panama keinen einzigen ebenen Kilometer. Immerhin erreicht die Cordillera Central Gipfelhöhen von um die 3500 Metern. So hoch hinauf müssen wir nicht; die Straße verläuft meist unweit der Pazifikküste, steigt aber trotzdem über unzählige Bergausläufer und durch Flusstäler, und wir steigen hinterher. Das verwässert unseren Schnitt, und nicht immer packen wir unsere vorgesehene Tagesetappe vor den mittäglich einsetzenden Regengüssen. So zum Beispiel auf dem Weg nach Santiago, wo wir mal wieder eindrucksvoll erfahren, was man unter "Regenzeit" zu verstehen hat. Ab 12.00 Uhr (High Noon) schifft es praktisch pausenlos. Eine Weile stellen wir uns noch, zusammen mit zwei gemütlichen Straßenarbeitern, an einer überdachten Viehtränke unter. Doch dann lässt der Regen etwas nach und wir müssen einfach weiter, wenn wir nicht in die Nacht hinein kommen wollen. Wir überlegen noch, ob wir die Regenklamotten anziehen sollen oder nicht und entscheiden uns zum Glück dagegen, denn die Brühe von oben ist fast so warm wie Suppe, und die übliche Saunaschwüle tut das ihre dazu. Dafür werden wir jetzt voll eingesaut, bald quatscht das Wasser in den Schuhen, und nach ein paar Straßenbaustellen ohne Belag sehen wir aus wie panierte Erdferkel. In Santiago mieten wir uns für zwei Tage ein im Hotel Gran David, bringen die gesamte Wäsche in die Wäscherei und stopfen die Turnschuhe mit Zeitungspapier aus, um das Wasser aufzusaugen. Die brauchen dann auch wirklich bis zum übernächsten Morgen, bis sie wieder trocken sind. An den Fahrradketten ist kein Tropfen Öl mehr, dafür einiges an Rost; zum Glück ist wenigstens das Gepäck trocken geblieben, dank guter Ortlieb-Taschenqualität. Die Investition in diese Packtaschen hat sich unbedingt gelohnt! Und eine ordentliche Portion Spaghetti Carbonara im Hotelrestaurant, begleitet von diversen Cervezas Panama, stellt auch umgehend die gute Laune wieder her.

Cerveza Panama Hotel "Gran David"

Langsam werden, bedingt durch Wetter und harte Beanspruchung des Materials, auch die ersten Reparaturen fällig. Irgendwo haben wir die Lager-Schutzkappe von Sybilles linkem Pedal verloren; Regen und Straßendreck entfalten da bald eine zerstörerische Kraft. Auf jeden Fall lässt der Trebbel sich nur noch mit Brachialgewalt drehen; das schreit nach Ersatz. Glücklicherweise ist das in Panama überhaupt kein Problem, man geht da in die Ferreteria, die Eisenwarenhandlung, in der es immer ein kleines Fahrrad-Ersatzteilsortiment gibt. Und in der Kleinstadt Penonome (10.000 Einwohner) werden wir auch gleich fündig: In einem tollen Laden (Werkstatthalle, an einer Wand sind alte Heizkessel gelagert, am Eingang schweißt einer aus rostigen Rohren ein Treppengeländer zusammen) finden wir in der hintersten Ecke, schon etwas staubbedeckt, ein Paar knallblaue Plastikpedale, Fabrikat Eastman, made in India, für 3,25 US$. Ist zwar ein billiges G'lumpp, aber bis Panama City halten sie sicher. Sybilles Fahrrad sieht jetzt aus wie ein Blaufußtölpel (siehe nächstes Kapitel). Und in unserer guten SKS-Rennstar-Luftpumpe tut schon seit Santiago anstelle des ausgefransten Originalgummis eine Wasserhahndichtung für 7 Cent zuverlässig ihren Dienst. Tja, Improvisation ist alles - Pumpengummis für französische Sclaverand-Ventile gibt's mit Sicherheit in ganz Mittelamerika nicht.... Dafür finden wir in der hintersten Provinz auf der Suche nach einem adäquaten Abendessen einen genialen Griechen, der eine fantastische Holzofenpizza auf den Tisch stellt, dazu einen Hirtensalat mit echten Oliven. Panama ist immer für eine Überraschung gut.

Blaue Pedale für Sybille

Ab Santa Clara radeln wir ziemlich dicht an den Pazifikstränden entlang, die in jedem Reiseführer als recht ansprechend beschrieben werden. Keine Frage, da muss mal ein halber Tag zum Relaxen drin liegen. Das ist aber gar nicht so einfach, denn Panamas Tourismus steckt noch in den Kinderschuhen. Zum 5-Sterne-Resort in Coronado führt die schlechteste Straße, die wir jemals geradelt sind - nach zwei Kilometern geben wir es auf, bevor es uns die Fahrräder zerlegt, und steuern zurück zur Panamericana. Schon besser ist da Nueva Gorgona. Aber die im Reiseführer ausgeschrieben Accomodations zu finden erfordert eine harte Geduldsprobe. Die zunächst ganz passable Asphaltstraße zerfasert sich bald in Dutzende von Feldwegen; wir cruisen orientierungslos zwischen unbebauten Grundstücken, Eigenheimen, kleinen Läden und Obstplantagen und finden dann, eher per Zufall, nach kurzer Schiebe-Einlage über eine einem Sturzacker gleichende Erdstraße, das Hotel "Club Gorgona Resort". Hier sind wir gut aufgehoben; wir kriegen für 44 US$ ein schönes Zimmer, es gibt einen guten Pool, der riesige, fast menschenleere Sandstrand ist in fünf Minuten zu Fuß zu erreichen. Dort machen wir einen langen Strandspaziergang, schauen den ans Ufer brandenden Wellen zu, die uns fast ein bisschen an Oregon erinnern, und draußen am Horizont sieht man eine Reihe von Schiffen, die wohl den Panamakanal ansteuern; ein ungeheuer schönes und friedliches Bild. Abends geht ein wunderschöner Tag mit einem schon lange nicht mehr gesehenen Sternenhimmel zu Ende und es hat, kaum zu glauben, heute keinen einzigen Tropfen geregnet.

Auch wir steuern langsam, wie von einem Magnet gezogen, auf den Kanal zu. Ein kleiner Pass ist noch zu überwinden, der uns fast ein wenig an den Monteceneri im Tessin erinnert, dann rollen wir auf guter, autobahnähnlicher Straße mit recht viel Verkehr zügig auf die Kanalzone zu. Obwohl der Panamakanal ja bekanntlich am 31.12.1999 von den USA in die Oberhoheit von Panama übergeben wurde, erkennt man noch ganz genau, wenn man in den 16 km breiten Streifen früheren US-amerikanischen Hoheitsgebiets eintritt. Auf einmal radeln wir durch parkartige Rasenflächen, durchsetzt von kleinen Waldinseln und Gebäuden, die stark den früheren US-Installations rund um Stuttgart ähneln. Und dann, wir sprinten gerade zügig über eine Kuppe, taucht wie von Zauberhand plötzlich die Puente de las Americas auf -  ein erhebender Moment für jeden Panamericana-Radler! Ein ganz tolles Teil ist diese Brücke, himmelhoch, so dass selbst die größten Ozeandampfer drunter durchpassen, und mit ihrer geschwungenen Gitterkonstruktion von einer kaum zu übertreffenden Ästhetik. Ein erhebender Moment natürlich vor allem auch deshalb, weil wir hier quasi symbolisch von Nord- und Mittelamerika nach Südamerika eintreten. Diese Brücke hält wie eine gigantische Stahlklammer einen ganzen Kontinent zusammen.

Puente de las Americas

Linker Hand ist eine Aussichtsterrasse, und von dort sehen wir zum ersten Mal den berühmten Panamakanal. Wir sind echt überrascht von der Schönheit und Harmonie, die der Kanal ausstrahlt. Das ist etwas anderes als die Betonrinne des Main-Donau-Kanals; fast meint man, eine Kette von Seen vor sich zu haben, umgeben von Hafenanlagen und tropischen Regenwäldern. Faszinierend sind natürlich auch die Geschichte dieses Wasserwegs und seine Technik, die nunmehr seit über 90 Jahren zuverlässig ihren Dienst versieht. Der Panamakanal ist auch heute noch eines der größten Weltwunder der Ingenieurskunst, sowas wie "eine Mondlandung zur Zeit der Gebrüder Wright", wie es treffend in einem Reiseprospekt heißt.

Bereits Columbus ahnte im Jahr 1502, als er im heutigen Panama landete, dass man aus dieser Landenge etwas machen könnte. Er versuchte, von der Karibik her eine Durchfahrtsmöglichkeit Richtung Indien zu finden, musste aber unverrichteter Dinge weitersegeln. Genauer hakte dann der Spanier Vasco Nuñez de Balboa nach. Er durchwanderte 1513 im Auftrag Kaiser Karls V. als erster Europäer den Isthmus von Panama und erreichte so den Pazifik. Die Spanier erstellten dann ein Gutachten über den Bau eines Kanals durch Panama, kamen aber zu dem Schluss, dass ein solcher nicht realisierbar sei. Sie bauten dann den Camino Real, eine gepflasterte Stufenstraße zwischen Nombre de Dios und dem heutigen Panama City, die zum Gütertransport verwendet wurde (zum Beispiel trug man über den Camino Real Pizarros Inkaschätze ab), der erst nach 200 Jahren und nach dem Niedergang der Kolonialmacht Spanien seine Bedeutung verlor. Heute noch findet man bemooste Reste dieser Pflasterstraße im dichten Dschungel, und Wagemutige können sie noch teilweise begehen.

Camino Real

Von 1850 bis 1855 baute eine US-amerikanische Gesellschaft eine Eisenbahn von Colon nach Panama City. Das war die Zeit, als man bei San Francisco Gold entdeckte und der Run von der Ost- an die Westküste einsetzte. Seinerzeit war es wesentlich komfortabler, mit dem Schiff nach Colon, dann mit der neuen Bahn nach Panama City und von dort wieder mit dem Schiff nach Frisco zu gelangen, als sich einem der beschwerlichen und unsicheren Planwagentrecks durch den Wilden Westen anzuschließen.

1878 dann bekam der Franzose Ferdinand de Lesseps, Erbauer des Suezkanals, von Kolumbien (zu dessen Hoheitsgebiet Panama damals noch gehörte) die Bewilligung zum Bau eines Kanals. 1880 begannen die Franzosen mit den Arbeiten, mussten aber 1893 Konkurs anmelden, weil die Finanzierung nicht mehr aufzubringen war und Tausende von Arbeitern an Tropenkrankheiten und an Erschöpfung gestorben waren. Dann traten die Amerikaner auf den Plan. 

Die USA setzten sich damals ernsthaft mit dem Gedanken auseinander, einen Kanal durch das wesentlich breitere Nicaragua zu bauen. Doch als die französische Kanalgesellschaft den Amerikanern die Konzession für den Bau einer wesentlich kürzeren Verbindung vom Atlantik zum Pazifik offerierte, kam es zum Stimmungsumschwung. Dafür soll auch ausschlaggebend gewesen sein (so haben wir zumindest gelesen), dass die Kanalplaner eine nicaraguanische Briefmarke zu Gesicht bekommen hatten, auf der ein Vulkan abgebildet war. Da lag natürlich die Assoziation "Nicaragua = Erdbeben" ziemlich nahe.

Schon seit Jahren hatten sich in der panamesischen Gesellschaft Sezessionsgelüste breit gemacht, weil man sich von den kolumbianischen Machthabern in Bogota vernachlässigt fühlte. Als die Regierung schließlich ihre Zustimmung zum Verkauf der Kanalkonzession an die USA verweigerte, war der Zeitpunkt für eine Abspaltung gekommen. Am 3. November 1903 starteten einige Verschwörer einen Aufstand, und noch in derselben Nacht erklärte ein provisorischer Regierungsrat Panama für unabhängig. Die USA unterstützten die Revolution von Anfang an, verhinderten mit Kriegsschiffen den Einmarsch kolumbianischer Truppen und erkannten die Republik Panama bereits am 6. November an.

Kanal-Bauarbeiten

Zwölf Tage später wurde der Vertrag unterzeichnet, der den USA die Rechte für den Kanalbau sicherte und Panama gleichzeitig in eine neue Abhängigkeit stürzte. Die Amerikaner übernahmen nämlich die politische und militärische Kontrolle über den Kanal und setzten auch durch, dass die bereits erwähnte 16 km breite Hoheitszone geschaffen wurde. Dann bekämpften sie mit massiven Chemieeinsätzen Malaria und Gelbfieber, ließen eine Menge schweres Gerät herbeischaffen und begannen zu graben.

Nach elfjähriger Bauzeit konnte der Panamakanal am 15. August 1914 eröffnet werden. Noch immer gilt die 80 Kilometer lange Wasserstraße als eines der spektakulärsten Bauwerke des vergangenen Jahrhunderts. Mehr als 13.000 Schiffe passieren jährlich den Kanal. Seit dem Jahrhundertwechsel funktioniert der Kanal vollständig unter panamesischer Verwaltung. Die ursprünglichen Bedenken, Panama könnte mit dem Management der Wasserstraße überfordert sein, scheinen unbegründet: Das vergangene Geschäftsjahr brachte der Kanalbehörde Rekordeinnahmen von 921 Millionen US$, 15 % mehr als im Vorjahr - ein warmer Regen für die Staatskasse.

Kanal im Profil

Knapp 100.000 US$ kostet eine Schiffspassage im Durchschnitt, doch das ist immer noch wesentlich billiger und sicherer als die Fahrt um Kap Hoorn. Den Rekord bei den nach Bruttoregistertonnen ermittelten Kanalgebühren hält die "Coral Princess" mit 226.124,25 US$, und den niedrigsten Preis musste 1928 ein gewisser Richard Halliburton entrichten. Der durchschwamm den Kanal in seiner ganzen Länge, und man berechnete ihm 36 Cent, nachdem seine Wasserverdrängung aus seinem Körpergewicht ermittelt worden war.

Lange schauen wir von der Aussichtsterrasse auf diese faszinierende Wasserstraße hinunter. Leider kommt momentan kein Schiff; es ist gerade Mittag, und normalerweise wird vormittags in Richtung Atlantik und nachmittags in Richtung Pazifik gefahren. Trotzdem genießen wir bei unserer ersten Kanalüberquerung jeden Meter der Puente de las Americas, zunächst geht es steil hinauf; trotz dichtem Verkehr radeln wir langsam und lassen ausführlich das Auge schweifen. Draußen auf dem Pazifik nehmen gerade ein paar Dampfer Aufstellung, wohl für die Durchfahrt am nächsten Tag; die Schleusenanlagen sind von hier nicht zu erkennen, sie liegen hinter einem Hügel, und vorher macht der Kanal eine Kurve.

Auf der Puente de las Americas

Ab der Kuppe der Brücke können wir mit dem Verkehr wieder mithalten und rollen zügig über ein System autobahnähnlicher Straßen in Richtung Stadtzentrum. Dabei verfahren wir uns kräftig und drehen eine Ehrenrunde durch die Slums von Curundu. Abbruchreife Wohnblocks in schimmeligem Dunkelgrau bestimmen das Bild, Besoffene liegen in Hauseingängen, Halbwüchsige lungern herum - zum Glück ist die Straße recht belebt und einiges an Polizei präsent, aber eine Panne wollten wir hier jetzt nicht haben. Wir atmen schon deutlich hörbar auf, als wir endlich den Hoteldistrikt gefunden haben. Im Hotel Roma mieten wir uns für eine Woche ein, erhalten ein schönes, großes Zimmer, und vom Pool auf der Dachterrasse hat man einen tollen Blick über die Innenstadt. Für 38 US$ pro Nacht ein guter Deal, zumal in Panama Citys als überteuert geltender Neustadt.

Zwei ganze Tage wenden wir auf, um uns dem Panamakanal, diesem tollen Jahrtausend-Bauwerk, gebührend zu widmen. Gleich am nächsten Morgen um neun radeln wir zu den zehn Kilometer entfernten Miraflores-Schleusen hinaus. Es ist eine herrliche Fahrt durch die ehemals US-amerikanische Kanalzone; hinter den historischen Häusern, gepflegten Rasenflächen, Feuerhydranten und betonierten Gehwegen mit gelb gestrichenen Randsteinen sieht man von dichtem, gesundem Urwald bedeckte Hügel. Den Kanal sieht man zunächst nicht, doch plötzlich schiebt sich hinter einem der niedrigeren Hügel ein hochhausgroßer Frachter vorbei; mit qualmendem Schornstein und Hunderten gestapelter Container auf dem Deck. Der Anblick ist so beeindruckend, dass wir auf dem Rad fast die Balance verlieren. Und schon kommt linker Hand ein Schild, das zu den Schleusen weist. Wir schließen unsere Fahrräder vor dem Infozentrum an, erklimmen eine unendlich lange Rolltreppe, treten hinaus auf die Besucherterrasse, und da liegen sie vor uns, die Miraflores-Schleusen. Und heute kommt Schiff an Schiff.

In den Miraflores-Schleusen

Sowas Faszinierendes haben wir noch selten gesehen. 300 Meter lang und 32 Meter breit sind die meisten Frachter, exakt abgestimmt auf die Schleusenkammern, man spricht bei den Schiffstypen sogar von einer Panamax-Klasse. Da passt kaum eine Hand zwischen Schleusenwand und Schiff. Die Dampfer bewegen sich mit eigener Kraft im Schleusenbereich vorwärts, und kräftige Elektroloks, die so genannten "Donkeys", sorgen mit Stahlseilen dafür, dass keiner aneckt. Allein die Schleusentore sind 25 Meter hoch und wiegen 730 Tonnen - es sind immer noch die Originaltore von 1913, made in USA. Acht Minuten dauert es nur, bis eine Schleusenkammer sich gefüllt oder geleert hat; dann kann das Schiff in die nächste Kammer fahren.

Lesseps wollte seinerzeit einen Kanaldurchstich ohne Schleusen, also praktisch auf Meeresniveau - daran ist er letztlich gescheitert. Die Amis merkten gleich, dass sie sich beim Kanalbau der schwierigen Topografie und Geologie anpassen mussten. Doch auch so waren im soliden Gestein Tausende von Sprengungen nötig, vor allem im Gaillard Cut, einem technisch sehr schwierigen Bergdurchstich. Hätte man das abgetragene Gestein auf einen Güterzug verladen, so hätte dessen Länge dem vierfachen Erdumfang entsprochen. Da der Schleusenbetrieb natürlich eine Menge Wasser verbraucht, wurde der vom Rio Chagres gespeiste Gatun-Stausee angelegt, der seinerzeit der größte künstliche See der Welt war. Der liegt 26 Meter über dem Meeresspiegel - vom Pazifik her führen die Doppelschleuse Miraflores und die Einzelschleuse Pedro Miguel hinauf, auf der anderen Seite ermöglichen die drei Gatun-Schleusen den "Abstieg" zum Atlantik. Acht bis zehn Stunden dauert eine Kanaldurchfahrt, vorausgesetzt es gibt keinen Stau - aber den gibt's häufig, und das, obwohl heute bereits wesentlich größere Pötte als die Panamax-Frachter auf den Weltmeeren unterwegs sind, die ein Vielfaches an Öl oder Containern befördern können und so pro transportierter Tonne selbst bei der Fahrt um Kap Hoorn gegenüber den kanaltauglichen Frachtern noch etwas sparen. Längst denkt man deshalb über eine Erweiterung des Panamakanals nach, und den Gaillard Cut haben die Panamesen bereits so erweitert, dass jetzt auch Gegenverkehr möglich ist.

Wir bringen es echt fertig, drei Stunden lang dem Schleusenbetrieb zuzusehen, dann halten wir uns noch eine ganze Weile im Museum auf und kaufen ein tolles Buch mit historischen Fotos. Am nächsten Tag nehmen wir uns einen Mietwagen und fahren hinüber nach Gatun. Schon der riesige See mit seinen vielen urwaldbestandenen Inseln ist eine Augenweide, dazu der Gatundamm, die Schleusentreppe und die historische Schwingbrücke auf der Atlantikseite - bloß den Gaillard Cut können wir nur aus der Ferne betrachten, der Aussichtspunkt auf dem Contractor's Hill liegt in einem militärischen Sperrgebiet und ist seit einiger Zeit geschlossen, schade. Aber eins ist uns klar: Auf dem Panamericana-Radelabschnitt von San José nach Panama City haben wir oft geflucht, über Hitze, Regen und Geländeprofil - doch der Panamakanal war echt jeden vergossenen Schweißtropfen wert.

Gatun-Schleusen

Und abends feiern wir das mit Schnitzel, Potato Salad und Cerveza Panama im Gasthaus Bavaria unter Bildern von Zugspitze und Königssee (Your hosts, the Bavarian couple Gerald and Sabine Niederhuebner or perpaps their young daughter Ines wish you a warm Willkommen). Genial, schmeckt bestimmt in Freising oder Rosenheim auch nicht besser!

Panama City selbst steht der Attraktivität seiner Schnitzel und seines Kanals sicher um einiges nach. Die Stadt als schön zu bezeichnen wäre wohl vermessen, aber das Prädikat "interessant" verdient sie auf jeden Fall. Gegründet wurde Panama City an seiner heutigen Stelle im Jahr 1673 zunächst als Festung, nachdem der englische Pirat Henry Morgan die einige Kilometer weiter östlich liegende Vorgängersiedlung platt gemacht und ausgeraubt hatte. Die Altstadt von Panama City war lange Jahre als übles Loch verschrien, durchaus zu vergleichen mit den von uns bereits unfreiwilligerweise besichtigten Slums von Curundu. Doch heute sind schon viele der historischen Gebäude restauriert und Polizei patroulliert durch die Altstadtgassen - sie sind recht malerisch und durchaus einen Besuch wert. Den Kontrast dazu setzt das Banken- und Geschäftsviertel mit seinen Hochhäusern auf der anderen Seite der Bucht, die eindrucksvoll Panama Citys Bedeutung als Crossroads of the World unterstreichen, als Handels- und Finanzzentrum Lateinamerikas. Panama ist ein Steuerparadies, hat umfangreiche Freihandelszonen und sehr günstige Bedingungen für Investoren aller Art. So fahren z.B. viele Schiffe auf allen Weltmeeren unter der "Billigflagge" Panamas, es gibt zahlreiche Banken mit Nummernkonten wie in der Schweiz und viele US-Rentner verbringen ihren Lebensabend in den Bergen von Chiriqui. Das Land stellt sich ganz gut dabei; Bruttosozialprodukt und Pro-Kopf-Einkommen liegen um einiges höher als bei den Nachbarländern.

Blick auf Panama City

Rein aus touristischen Gründen wird man in Panama City sicher keine ganze Woche verbringen - aber als Reisender hat man ja auch zu arbeiten, Webseite schreiben zum Beispiel. Sybilles Rad kriegt jetzt bereits die zweiten neuen Pedale; die billigen "Blaufüße" haben erwartungsgemäß genau bis hierher gehalten, dann hat das linke blockiert. Erwartungsfroh tragen wir auch unsere Diafilme zum Entwickeln: Foto Halcon, Kodak-Vertragsunternehmer, soll einer der wenigen Betriebe in ganz Lateinamerika sein, der sowas kann - er kann es nicht! Höchstens 10% der Bilder sind okay, der Rest sieht aus wie ein Falschfarbenfilm, fast wie Negative für Papierbilder. Wir hätten die Filme zu sehr der Hitze ausgesetzt, ist der lapidare Kommentar. Aber wir waren ja schon öfters in den Tropen und haben geknipst, und warum sind dann einige Bilder völlig in Ordnung? Am liebsten wären wir dem Typ an die Gurgel gegangen, aber wie diskutiert man mit einem Labor-Schlamper in einer nur mäßig beherrschten Fremdsprache? Volkshochschul-Spanisch I und II reicht jedenfalls nicht aus, um Halcon die Meinung zu geigen, und wenn ich ihn auf gut Schwäbisch einen Grasdackel nenne, wird's wohl auch keine bleibende Wirkung haben. Zähneknirschend packen wir also die Bescherung zusammen; zu Hause werden wir die Bilder digital nacharbeiten oder handkolorieren müssen. Tja, Reisen bildet - in Zukunft werden wir wieder in Alemania entwickeln lassen. Dann reagieren wir uns mit 40 Kilometern Power Biking ab, gehen gut essen und ein paar Cervezas Panama trinken.

Unser miesestes Fotolabor seit 30 Jahren!!!

Das Interessante an Panama City ist, dass es halt einfach eine Weltstadt ist und als solche einen ungeheuer polyglotten Eindruck macht. Da gibt es riesige Markthallen, Fabriken und gläserne Hochhauspaläste, die auch in New York oder Hongkong stehen könnten, fliegende Händler mit Obst, Zeitungen, gebrauchten Radkappen und cubanischen Zigarren, es gibt eine Kathedrale, eine Moschee und einen Baha'i-Tempel, eine Chinatown, viele Nachfahren der Kanalbauarbeiter von den westindischen Antillen, Libanesen, orthodoxe Juden, Sikhs, Kuna-Indianer von den San-Blas-Inseln in ihren traditionellen Gewändern, gefälschte Rolex-Uhren, hart arbeitende Transportkulis und Porschefahrer. Durch die Straßen donnern künstlerisch bemalte ehemalige US-amerikanische Schulbusse und eine Armada klappriger Taxis, die einen für 1,50 Dollar durch die halbe Stadt bringen.

Panama City ÖPNV

Wir machen ausführlich davon Gebrauch und kommen so zu den tollsten Folklore-Erlebnissen. Einer fährt mit Fleecejacke und Pelzmütze (wahrscheinlich geht die Klimaanlage nicht mehr aus), ein Rasta-Typ mit Bob-Marley-Kappe muss beim Fahren immer seine Tür zuhalten, ein Taxi ist total vollgestopft mit Wackeldackeln und hat ein Sortiment Kuhglocken am Rückspiegel hängen, bei einem gibt es weder Vorder- noch Rücklichter, dafür eine Madonna auf dem Armaturenbrett. Und der Fahrer Hector Manuel Vernaza Aponte (laut Visitenkarte Fahrer, Spezial-Reiseleiter, Reporter und Fotograf) erzählt uns, dass er früher unter der Regierung Noriega Kriegsberichterstatter war, später von den Amis in den Knast gesetzt und dann mit einem Berufsverbot belegt wurde. Oft fahren wir auch mit dem Rad herum (die panamesischen Autofahrer verhalten sich gegenüber schwächeren Verkehrsteilnehmern überraschend rücksichtsvoll), zum Beispiel über den Amador Causeway zur Isla Naos hinaus, um dort in einer der Palmblattdächer-Kneipen ein Bier zu trinken. Dort draußen weht immer eine frische Brise - einen angenehmeren Platz kann man sich in Panamas Schwüle nicht vorstellen.

Ja, und damit ist unsere Centroamerica-Etappe zu Ende, eine Etappe, die wirklich in jeder Hinsicht an Abwechslung kaum zu überbieten war. Als Airport Taxi heuern wir den Lieferwagen an, mit dem sie für das Hotel Roma immer das Gemüse vom Markt holen, und bald hebt der Flieger der Copa Air ab, dreht nochmal eine Ehrenrunde über Panama und zieht dann über das offene Meer hinaus. Jetzt sind wir gespannt, was uns wohl in Südamerika für Abenteuer erwarten.

 

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