www.bikeamerica.de - Reisebericht über unsere Panamericana-Tour 3

Bicycling Baja

1300 Kilometer Einsamkeit

México on Bicycle? Never! – das ist die wohlgemeinte Empfehlung sämtlicher Norteamericanos für die Fortsetzung unseres Trips. Weiß nicht jeder, dass alle Mexikaner Banditen sind? Selbst in seriösen Reisebeschreibungen taucht mindestens einmal pro Seite das Wort "Gefahr" auf. Und wenn sie dir nicht spätestens am zweiten Tag das Fell über die Ohren ziehen, dann machen dich die 18-Wheelers platt, die Versorgungs-Trucks, die die ganze Halbinsel Baja California (immerhin länger als Italien) rauf und runter donnern. Neben der Mex 1 (Ihr werdet verdursten! Höchstens alle 200 Kilometer eine Tankstelle) gibt’s nur Eselspfade, die selbst Allrad-Jeeps überfordern. Dazu Tijuana – ein absolutes Dreckloch und die gefährlichste Stadt der Welt.

Soviel zum Thema "Latrinenparolen". Kein Panamericana-Biker kann ihnen entrinnen, und am berühmten "Tortilla-Vorhang", der hermetisch abgeriegelten Grenze der USA zu den armen Vettern im Süden, da fangen sie an. Zugegeben, auch uns ist es ein wenig mulmig zumute, als wir San Diego auf dem Harbor Drive verlassen und durch Hafengelände, militärische Lagereinrichtungen und unendlich lange Gebrauchtwagenmeilen in Richtung Grenze radeln. In San Ysidro zischen wir noch eine Cola (die letzte unseres Lebens, vielleicht?), dann stehen wir schon vor den Abfertigungsanlagen und einem beeindruckenden Zaun.

México Border

Wie reist man überhaupt als Biker nach México ein? In der einschlägigen Fachliteratur ist zu diesem Thema nix enthalten. Wir probieren es mal mit dem Fußgängerstrom, aber da müsste man durch ein Drehgitter, und da passen Fahrräder (wenn überhaupt) nur hochkant durch. Also, zurück auf die Straße. Wir ignorieren das Schild "Bicycles and Pedestrians prohibited" und rollen zügig durch die Auto-Grenzanlagen. Der mexikanische Grenzer ist sehr freundlich, fragt, wo wir so gut Spanisch gelernt hätten und verweist uns dann zur Migración. Dort fülle ich die Touristenkarten aus. Der Beamte schickt mich dann nebenan zum Schalter der Banamex, und plötzlich kostet die Einreise p/pax 21 US$. Wir denken zuerst an einen gemeinen Ripoff, aber es gibt eine offizielle Preistafel, die uns der Grenzer pikiert unter die Nase hält. 21 $ Eintritt hatten wir bislang auch noch nie für ein Land gezahlt.

Dann auf holperiger Betonpiste durch Tijuana. Der Verkehr ist schnell und kräftig, aber die Fahrer nehmen sogar Rücksicht und lassen uns problemlos die Spur wechseln. Durch die Stadt finden wir recht gut. Bei einer Bank lassen wir noch per Visa-Karte einige Pesos heraus, wobei wir hektisch um uns blicken und nach Revolverhelden und Messerstechern Ausschau halten. Doch nichts passiert und, komisch, so fürchterlich dreckig ist die Stadt auch nicht, vielleicht wie im Hafenviertel von Marseille.

Bald geht es auf der Mex 1 auf einer langen Steigung durch einen sandigen Canyon mit vielen Schrottplätzen und Bretterhütten aus Tijuana hinaus. Gut, im Straßengraben liegt Müll; mit der Zeit werden wir uns daran gewöhnen, jedenfalls leichter als an die plattgefahrenen Köter in jedem Erhaltungszustand auf der Straße. Nicht nur letztere müssen wir umkurven, sondern auch zahlreiche Gullylöcher, die entweder die Rippen in Fahrtrichtung haben oder gleich gar keine Deckel; man muss ständig auf der Hut sein. Auf der Passhöhe essen wir im Stehen vor einer riesigen Reklametafel zu Mittag, dann geht es lange bergab und hinein nach Rosarito.

In einer Bar an der Straße trinken wir ein Tecate-Bier und bleiben lange sitzen. Der Wirt ist freundlich und hat ein Terrarium mit Klapperschlangen unter der Theke. Nebenan ist ein Pferd mit silberbeschlagenem Sattel angepflockt. Eigentlich fühlen wir uns ganz wohl hier. Rosarito ist zwar ein Budget-Ferienziel für die US-Amerikaner, erscheint uns aber gerade recht zum Hinübergleiten von einem Kulturkreis in den nächsten.

Rosarito

Für den ersten México-Tag lassen wir es also heute gut sein, fahren auf der Avenida Juarez ins Zentrum und suchen uns ein Hotel, und dieses ist als Mittler der Kulturen wirklich sehr geeignet, denn es hat US-Preise, aber ein lateinamerikanisches Klo. Das heißt, ab hier bis hinab nach Chile wird neben jeder Toilette ein Eimer oder eine Schachtel stehen, in der das benützte Klopapier abzulegen ist. Die Fallrohre sind nämlich zu dünn ausgelegt und verstopfen leicht. Ob das Papier dann recycelt wird? In der Hotelbar scheuen sie sich hingegen nicht, 8 US$ für ein Bier und einen Kaffee zu verlangen. Trotzdem gut geschlafen.

Morgens ist es bedeckt, schließlich haben wir Dezember; NBC im Hotelfernseher meldet leichten Regen. In der Cafeteria gibt es wenigstens ein Super Frühstück vom Büffet – nach längerer Abstinenz mal wieder Huevos Rancheros mit einer kräftigen Salsa, Tortillas, Müsli, Croissants und Kaffee. Das zieht gut nach hinten; an diesem Tag haben wir nicht den schnellsten Schnitt, gerade richtig, um uns vollends einzugewöhnen.

Die ersten 35 Kilometer geht es heute hügelig immer am Strand entlang, vorbei an zahllosen Billig-Möbelläden, gammeligen Hotels, Schrottplätzen und neuen Ferienwohnanlagen, die sich kurz nach der Fertigstellung schon wieder auf dem direkten Weg in den Verfall befinden. Erfreulicherweise gibt es jedoch außer ein wenig Nebelnässe keinen Niederschlag, und als wir uns ab La Mision auf kräftezehrenden Anstiegen in die Berge hineinarbeiten, kommt sogar die Sonne raus und sorgt noch für eine recht freundliche zweite Tageshälfte. An den langen Anstiegen hupen uns viele Mexikaner aufmunternd zu, überhaupt haben wir von den angeblichen Verkehrs-Machos bislang wenig bemerkt.

Ensenada

Den zweiten México-Tag beenden wir, nach zum Schluss noch ganz netten Landschaftseindrücken, mit 85 Kilometern Tagesleistung in Ensenada. Hier endet auch so langsam der US-Wochend-Pauschal- und Budget-Tourismus mit seinen negativen Auswirkungen, und ab sofort gefällt uns die Baja immer besser.

Weiter geht es, Maneadero, San Vicente, die Städtchen werden immer kleiner, die Landschaft immer trockener. In Santo Tomás gibt es etwas Weinbau, dann hin und wieder bewässerte Tomatenplantagen, die aber so ausgemergelt aussehen, dass man sich kaum vorstellen kann, dass hier jemals was geerntet wird. San Quintin ist noch eine etwas größere Stadt, dann einige lange, einsame Anstiege und Abfahrten, rechts in einiger Entfernung das Meer.

Spätestens ab El Rosario beginnen wir die Baja zu lieben. Der bärbeißige, kleine Ort ist sowas wie der letzte Vorposten der Zivilisation. Wir nehmen uns ein Zimmer im Motel Sinai, Campingplätze gibt’s schon lange keine mehr, und auf Wildcampen wollen wir nach Möglichkeit verzichten. Doch die Accomodations liegen hier wirklich zum Teil 200 Kilometer auseinander – morgen sind es z.B. 130 Kilometer nach Cataviña, dem nächsten Ort. Und der nächste Supermarkt kommt gar erst nach 400 Kilometern, weshalb wir dem kleinen Gigante-Laden zu einer Rekord-Umsatzsteigerung verhelfen. Dann waschen wir unsere Radklamotten, hängen sie zum Trocknen auf und gehen zu Mama Espinoza.

Mama Espinoza's bei Mama Espinoza

Es gibt bestimmt nicht viele legendäre Kneipen in México und schon gar nicht auf der Baja, aber bei Mama Espinoza’s muss man gewesen sein. In dem kleinen, rot gestrichenen Ziegelhaus hat nämlich Doña Anita Grosso de Espinoza, genannt Mama, 1928 den Lobster- Burrito erfunden, mit dem Erfolg, dass lange Jahre übers Wochenende die Hollywood-Stars hier anreisten, schlappe 500 Kilometer one way, von Steve McQueen bis Patrick Swayze. Genau vor Mama Espinoza’s endete bis in die 70er-Jahre der Asphalt; die Straße macht einen radikalen Knick und führt in die offene Wüste hinaus. Auch die Fahrer der Rallye "Baja 1000" machten hier immer Station, bevor es ins dornenbedeckte, sonnendurchglühte Nichts ging.

Mama Espinoza lebt heute nicht mehr, Tochter und Enkel führen den Laden weiter. Doch trotz ruhmreicher Vergangenheit hat man überhaupt nicht abgehoben; Mama Espinoza’s ist einfach eine familiäre, urige Kneipe am Ende der Welt. Der Lobster-Burrito kostet leider gute 20 Bucks, weshalb wir uns auf Tacos und Quesadillos verlegen, dazu Chips mit Salsa und ein paar Pacifico-Bierlein. Alles schmeckt hervorragend; zum Nachtisch kriegen wir noch ein selbstgemachtes Creme-Küchlein spendiert, das halbe Dorf ist hier versammelt, der Fernseher dudelt, und wir bleiben noch lange sitzen.

Am nächsten Morgen schwingen wir uns um 6.30 Uhr in den Sattel, akustisch begleitet von diversen Göckeln und Kötern. Nach Mama Espinoza’s passiert die Straße noch ein paar staubige, verloren wirkende Häuser, die mindestens zu 80 % zu verkaufen sind, dann ist Sense mit Besiedlung und die Wüste beginnt. Kaum eine Wolke ist am Himmel, die wenigen werden von der Sonne purpurrot angestrahlt und in den Bergen hängen Nebelschwaden – eine ganz tolle Morgenstimmung, wie wir sie noch nie erlebt haben.

Mex. 1 / Desierta Central

Schon gleich nach dem Ort windet sich der Highway in die kahlen Berge hinein, die bald mit den schönsten Kakteen bestanden sind. Wir treten zügig; die Steigungen sind zunächst moderat, und selbstverständlich müssen wir eine Unmenge Fotos machen. Aber wir kommen gut voran, und es keimt die vorsichtige Hoffnung, dass wir es heute doch ganz bis Cataviña schaffen könnten. Nach zehn Kilometern dann werden die Steigungen immer knackiger; wir erreichen eine höher liegende Mesa und man hat fantastische Ausblicke in unendliche, interessant gefaltete Bergländer. Die Kakteen sind einfach bezaubernd schön, neben dem typischen Western-Kaktus gibt es Ohren-Kakteen, Agaven, dazu die Cirios, eine elefantenrüsselartige Sorte mit kleinen, ledrigen Blättchen, die nur auf der Baja vorkommt, und noch viele mehr. Und einmal wechselt ein prächtiger Kojote über die Straße.

Kaktus-Sammelsurium

Hin und wieder kommt sogar eine kleine Kneipe, wo man essen und etwas trinken kann. Eine ist besonders nett; man sitzt direkt im Wohnzimmer der Familie mit Sofa, Fernseher und viel buntem Kitsch, während im Hintergrund eine eifrige Mama sehr gut duftende Tortillas bäckt. Zum Mittagessen ist es aber noch zu früh, und wir haben ja auch kräftig eingekauft. So stehen wir halt eine Weile im hübsch angelegten Kaktus-Vorgarten und trinken eine Cola.

Charakteristisch für die Mex 1, bis hinunter nach La Paz, sind auch die vielen Kreuze am Fahrbahnrand. Kaum kommt mal eine Kurve, treten sie gehäuft auf – gut, dass man als Radler selten einpennt! Ab vier Kreuzen war’s wohl eine Familie, ab zehn ein Bus, manchmal stehen Namen dran, oft sieht man Plastikblumen oder gar kleine Kapellen, hin und wieder ein Wrack, meistens total ausgebeint, von der Salzluft zerfressen oder für Schießübungen zweckentfremdet.

Memento Mori

Später lassen die Steigungen nach; es gibt lange, fast ebene Geraden, und wir machen jetzt ganz gut Kilometer. Bei Sonnenuntergang sind wir nur noch 20 Kilometer von Cataviña entfernt; das packen wir jetzt auch noch. Ganz fantastisch sieht es aus, wenn sich die Kakteen schwarz vor dem Abendhimmel abzeichnen; da könnte man hunderte von Fotos machen. Kurz nach sechs erreichen wir tatsächlich Cataviña, heftig verbellt von sämtlichen Dorfkötern. Wir stocken im Laden unsere Vorräte auf und beziehen im guten Hotel La Pinta ein riesiges, sehr geschmackvolles Zimmer. Ein ausgezeichnetes Essen beschließt den schönen Tag, dann stehen wir noch eine Weile vor dem Haus und schauen hinauf in den funkelnden Sternenhimmel, ein Ritual, das ab sofort fast täglich zu unserem Abendprogramm gehört.

Am nächsten Tag dann wieder gleich zum Anfang ein paar knackige Steigungen, dazu Gegenwind, vor allem an der ausgetrockneten Laguna Chapala bläst es uns fast von der Straße, und es ist auch ganz nett Staub dabei. Später wird es flacher, die Landschaft ist schön wie gestern; wir befinden uns im Nationalpark "Desierta Central de Baja California". Zum Mittagessen gibt’s, wie schon die letzten Tage, Tortillas mit Leberwurst, die sind für Baja-Biker als Proviant erste Wahl, schmecken recht annehmbar, haben vor allem das ideale Packmaß, und zum Nachtisch gibt’s noch ein paar mit Orangenmarmelade.

Mexican Biker's daily Lunch

Das ist heute unser absolut einsamstes Stück bisher; den ganzen Tag sehen wir keinen Laden, absolut null Nachschubmöglichkeit. Nicht einmal an der Abzweigung nach Bahia de Los Angeles gibt es was, wo laut jeglicher Literatur eigentlich ein Laden und eine Tankstelle sein sollten, nur ein paar verschlafene Mexikaner verkaufen Sprit direkt vom Fass. Im Abarrotes von Punta Prieta dann kaufe ich die letzte Gallone Agua Purificada auf, ab sofort haben sie nur noch Wurstbüchsen und alte Kekse im Sortiment.

Heute ist mangels Alternative doch eine Wildcamping-Nacht angesagt. Schon auf den letzten zehn Kilometern haben wir immer wieder nach einer guten Stelle gespäht und auch tatsächlich eine gefunden, flach und mit ordentlich Platz zwischen der Vegetation. Wir fahren also die vier Kilometer zurück und verdrücken uns, als gerade kein Auto in Sicht ist, klammheimlich von der Straße. Nach einem kleinen Slalom durch die Kakteen sind wir von der Straße aus nicht mehr zu sehen; in einer sandigen Senke finden wir den schönsten Zeltplatz, den man sich nur vorstellen kann. Direkt vor dem Zelt steht ein 15 Meter hoher Kandelaberkaktus, und den Boden müssen wir zuerst von Kletten und dornigen Ästen befreien. Eine stachelige Gegend ist das hier; beim Fotografieren ramme ich mir mindestens 20 Kaktusstacheln in den Kessel und einige weitere in den rechten Fuß, die Sybille dann alle einzeln herausziehen muß. Zum Abendessen gibt es Campbells Tomatensuppe mit Reis, dazu Tortillas, und dann, als es völlig dunkel ist, erleben wir einen Sternenhimmel, da ist jedes Planetarium ein Dreck dagegen. Einige Sternschnuppen verglühen dekorativ, ein einsames Flugzeug zieht seine Bahn, in weiter Entfernung hört man ein paar Köter bellen, und nur die Trucks auf der Mex 1 stören das Idyll des totalen Naturerlebnisses.

Wildcamp vor Punta Prieta Wildcamp vor Punta Prieta

Nachts um drei muss ich mal raus. Mittlerweile ist der Mond aufgegangen, und obwohl nur Halbmond ist, liegt so ein tolles silbernes Licht auf der Landschaft, dass man glatt Zeitung lesen könnte, wenn man eine hätte. Unser Kandelaberkaktus sticht wie ein Scherenschnitt vom hellen Nachthimmel ab – schade, dass man das nicht fotografieren kann! Trotz der Nachtkälte bleibe ich eine ganze Weile stehen; selbst Satelliten sind jetzt zwischen den Sternen auszumachen, die fast unwirklich langsam ihre Bahn ziehen. Ich glaube, das war die schönste Nacht sämtlicher Bike Trips unseres Lebens.

Mit den ersten Sonnenstrahlen packen wir zusammen und gehen wieder auf die Mex 1. Das ist auch eine der schönsten Erfahrungen, die man bloß auf langen Radtouren machen kann: Die Natur mit ihren vorgegebenen Zyklen bestimmt den Ritt. Aufstehen beim ersten Hahnenschrei, mit Einbruch der Dunkelheit ankommen, kräftiges Abendessen, noch ein bisschen sitzen bleiben, früh ins Bett, schlafen wie ein Stein. Dazwischen ein paar relaxte Pausen, immer den Kopf frei für die Umgebung – kein Stress, keine Hektik; eine tiefe, von innen kommende Zufriedenheit macht sich breit. Eigentlich ist das die einzige menschgemäße Art zu leben. Der ständige Druck und der Zivilisationsmüll zu Hause verschütten jegliche innere Harmonie binnen kürzester Zeit.

Am Nachmittag dann endlich wieder ein Ort: Villa Jésus Maria, ein Name wie ein Stoßgebet. Obwohl hier absolut der Hund begraben liegt, ist das einer der sympathischsten Orte, wo wir bislang durchgekommen sind. Er besteht nur aus ein paar Häusern, einer Stehkneipe und einem Laden, der aber sehr gut bestückt ist. Vor der Kneipe trinken wir ein Bier. Der Wind treibt den Sand durch die Straßen, das Tecate-Schild schwingt knarrend in seiner rostigen Aufhängung, der Taco-Kiosk ist verrammelt und wird vom Sandstrahlgebläse langsam wieder in die Natur übergeführt – Western-Ambiente vom Feinsten.

Villa Jésus Maria

Dann nochmal 40 Kilometer auf bolzengerader Straße mit gutem Rückenwind. Schon aus mindestens 15 Kilometern Entfernung sieht man das riesige Adler-Monument, das den 28. Breitengrad markiert. Dann sind wir schon bald in Guerrero Negro. Keine schöne Stadt, aber wir finden Bank, Supermarkt, Motel und ein gutes Restaurant. Kurzfristige Rückkehr in die Zivilisation, ausgiebig geduscht, todmüde ins Bett und gut geschlafen.

150 Kilometer gar beträgt die nächste Etappe. Hier im mittleren Teil der Baja ist die Landschaft ein Stück weit eher flach und langweilig – schnurgerade führt der Highway, anfangs bei bedecktem Wetter, in die graue, trostlose Wüste hinaus. Erstaunlich immer wieder, wie sich Wetter und Lichtverhältnisse darauf auswirken, wie man eine Landschaft empfindet. Wir haben aber guten Rückenwind und kommen schön vorwärts; ein Schnitt von zweitweilig fast 25 km/h ist für uns eher ungewöhnlich. Alle 30 Kilometer kommt eine Microonda, ein Sendemast mit Häuschen und Zaun, die einzigen Gelegenheiten, wo man mal das Rad anlehnen und gemütlich etwas essen kann. Dort machen wir immer Pause auf eine Orange und ein paar Schokoladenkekse, mittags natürlich für die obligaten Tortillas, und von jedem Pausenplatz aus kann man fast schon die nächste Microonda am Horizont erkennen.

Später tauchen auch wieder schöne Kakteen auf; es wird hügeliger und wir queren ein paar Vados, ausgetrocknete Flusstäler, mit gemeinen Steigungen am anderen "Ufer". Auf den letzten 20 Kilometern lässt uns dann der Rückenwind im Stich, und so erreichen wir gerade mit dem letzten Sonnenstrahl die hübsche Palmenoase San Ignacio. Genau bei unserer Ankunft im Hotel fällt für zehn Minuten der Strom aus. Dann waschen wir unsere Radhosen; die Brühe, die herauskommt, hat die Farbe von Linsensuppe.

San Ignacio

Am nächsten Morgen besuchen wir die kleine Missionskirche, die die Dominikaner 1786 aus Lavablöcken gebaut haben. Sie strahlt eine behagliche Ruhe aus, genauso wie die Plaza mit ihren alten Lorbeerbäumen. Die Palmenoase wurde schon 1728 von den Jesuiten angelegt, die als erste die hier ansässigen Indianer missionierten. Die wogenden, grünen Dattelpalmen ergeben ein zauberhaftes Bild in der gleißenden Härte der Wüste, fast unwirklich erscheint der blaue See dazwischen, dessen Oberfläche von Wellen gekräuselt wird.

Doch wo Wellen sind, ist auch Wind – und der kommt uns heute mit Macht entgegen. Unglaublich nach dem gestrigen strammen Ritt, aber die Etappe nach Santa Rosalia, mit rund 70 Kilometern bei weitem eine unserer kürzesten, wird unsere härteste Baja-Etappe überhaupt! Auch einige deftige Anstiege sind am Anfang zu überwinden; die ersten zehn Kilometer kommen wir kaum aus dem kleinsten Kettenblatt heraus. Und am Ortsende von San Ignacio heftet sich noch ein kleiner, brauner Hund an unsere Fersen, der wohl hofft, in uns ein neues Herrchen und Frauchen gefunden zu haben. Erst nach sieben oder acht Kilometern können wir ihn an einer kurzen Gefällestrecke abhängen; eigentlich tut er uns leid.

Dann der erste Plattfuß (Kaktusstachel, was sonst!. Die Scheißdinger sind wirklich überall, selbst am Ende unseres Baja-Trips werden sie noch, mitten im Stadtgebiet von La Paz, für schleichenden Druckverlust sorgen)! Und als wir gegen Mittag nach nur 23 Kilometern an einem kleinen Abarrotes Chips und ein Bier einwerfen, sind wir selbst so platt wie vorhin Sybilles Hinterreifen. Doch weiter, voll in den Wind, Spitzengeschwindigkeit 8 km/h.

Abarrotes

Die Landschaft allerdings ist grandios; nach einem kleinen Pass kommen wir in eine kaktusbestandene Ebene mit einzelnen Vulkanbergen – so weit das Auge reicht kein Anzeichen irgendwelcher Zivilisation (außer der Straße). Nach einigen weiteren schweißtreibenden Anstiegen geht es aber nach gut 60 Kilometern endlich hinunter zur fantastisch blauen "Sea of Cortez", dem Golf von Kalifornien. Erst nach Einbruch der Dunkelheit erreichen wir die alte Kupferminenstadt Santa Rosalia und checken ein im einfachen Hotel "El Industrial".

Mit letzter Kraft können wir uns gerade noch in die Pizzeria um die Ecke schleppen. Dort lassen wir eine riesige Pizza kommen (con peperoni, cebolla y extra queso), die erste seit langem! Schmeckt einfach fantastisch, und dazu gibt es etwas, was wir wirklich noch nie erlebt haben: Tecate Light all you can drink! Der Wirt staunt nicht schlecht, was in zwei durstige Radler hineinpasst, die zudem noch aus der Wüste kommen – wir nehmen mal an, dass dieses Feature heute nicht mehr angeboten wird.

Santa Rosalia ist ein interessanter Ort, nicht nur wegen seiner Getränkesitten. Wie das Skelett eines gigantischen Sauriers ragen die verrosteten Relikte der Kupferschmelze über dem Hafen auf, die von einer französischen Firma hier siebzig Jahre lang (bis 1954) betrieben wurde. Weit in den umliegenden Bergen wurde nach dem gefragten Mineral gegraben, es gab sogar 33 Kilometer Eisenbahn hier; eine der einst neun Heißdampf-Schmalspurloks ist restauriert und steht als Denkmal auf der Plaza. Die Franzosen haben auch eine Blechkirche hier aufgestellt, die von Gustave Eiffel für die Weltausstellung 1889 konstruiert wurde und um Kap Hoorn herum hierher transportiert werden musste.

Gustave Eiffel's Blechkirche

Die Kirche und das Städtchen mit den bunten Häusern sind sehr nett, nach El Rosario ist Santa Rosalia für uns die bislang netteste Stadt auf der Baja. Es gibt auch eine erstklassige Bäckerei (world famous since 1901). Dort kaufen wir Tortillas als Wegzehrung und Sandkuchen fürs Frühstück.

Das nächste Städtchen ist Mulegé, und nach kleiner Ortsrundfahrt entschließen wir uns spontan zum Ruhetag. Das Hotel Hacienda ist zwar etwas abgewetzt, dafür preiswert, und man kann sehr angenehm unter den Arkaden vor dem Zimmer sitzen. Ach, sowas Geniales wie der Waschsalon gegenüber! Wir sitzen lesend mit einer Cola auf der Terrasse, während sich die verschwitzten Klamotten in der Trommel drehen, darüber (auch das ist México) eine Sammlung von Schildkrötenpanzern an der Wand.

Waschsalon in Mulegé

Am Umweltbewusstsein fehlt es leider oft, aber, und das muss an dieser Stelle mal gesagt sein, die Mexikaner sind einfach wahnsinnig nett! (Vor allem, wenn sie merken, dass wir keine Gringos sind; auf US- Amerikaner ist man nicht so gut zu sprechen.) Eigentlich haben wir uns noch in keinem Land so wohl gefühlt wie in México, und irgendwie haben wir das schon in den mexikanisch angehauchten Gebieten der USA (San Luis Obispo!) gespürt. Hier im familiären Mulegé kennt uns schon fast jeder; beim Abendspaziergang und beim Bierchen in der Sports Bar werden wir allseits freundlich gegrüßt (ah, los ciclistas alemanes!). Die im heimischen Sozialklima gestresste Seele kann hier mal wieder richtig durchatmen.

Am nächsten Morgen weiter, wir arbeiten uns über ein paar knackige Steigungen aus Mulegé hinaus, und bald erwärmt wieder die Sonne der Radler Helm, Hirn und Herz. Am Weg liegen heute die fantastisch schönen Playas publicas der Bahia Concepción.

an der Bahia Concepción

In Playa Santispac trinken wir was in einer tollen Strandkneipe, fast karibisch-relaxte Atmosphäre. Für ein paar Pesos darf hier jeder sein Wohnmobil parken oder sein Zelt aufstellen, das wollen wir heute auch machen. Doch zunächst radeln wir noch weiter bis am frühen Nachmittag, damit wir es morgen nicht mehr so weit bis Loreto haben.

Dann aber finden wir den absoluten Traumstrand an der Playa Requesón. Hinter einem Windschutz aus Palmwedeln steht bald unser Zelt, dann starten wir zum ausgiebigen Strandspaziergang. Nur wenige Wohnmobile verteilen sich auf dem Standstrand, dazu die Bretterhütten von ein paar Aussteigern und Fischern. Pelikane und Möwen kreisen und tauchen in der Bucht nach ihrem Abendessen. Im zwei Kilometer entfernten Hotel Olé George’s kann ich sogar Bier und Wasser beschaffen, und kurz vor Sonnenuntergang köchelt ein guter Erbseneintopf auf unserem Gaskocher. Noch ein paar Liegestühle, dann könnte man es hier ewig aushalten. Und den Tag beschließt ein wunderbares Campfire mit selbst gesammeltem Holz, dazu der übliche bombastische Sternenhimmel.

Playa Requesón

Leider hat das Idyll auch seine Kehrseite: Mit derselben voraus muss ich mich am nächsten Morgen zum zünftigen Prärieschiss in die Strandvegetation verkrümeln, dabei scheuche ich ein paar Geier und Eidechsen auf. Ist schon ein Problem hier an den Playas publicas! Klo gibt’s selten, Dusche garnicht, so sammeln sich stinkende Unrathaufen. Was könnte man aus diesem Strand mit ein paar wenigen Dolares für ein Paradies machen! Trotzdem war es sehr schön hier, der Abschied fällt schwer.

Dann wieder auf die Mex 1. Geier gibt es heute eine Menge; wie im Western hocken sie schlapp auf den Kakteen und linsen zu uns herunter. Ob sie wohl wissen, dass auf den nächsten 60 Kilometern alle Kneipen zu sind? Mit hängender Zunge erreichen wir endlich am frühen Nachmittag eine und können Bier, Cola und Chips erwerben. Als Ausgleich sind die Wirtsleute mal wieder sehr nett; sie fragen, wo wir herkommen, denn Gringos norteamericanos seien wir bestimmt keine. Die Alemañes kriegen dann noch ein paar Tacos mit Schweinefleisch-Bohnen-Füllung spendiert und werden mit den besten Wünschen ("Suerte" und "Que les vaja buen") entlassen. Typisch für die Baja heute wieder, dieser Tag. Hitze, tolle Landschaft, anstrengender Ritt, Durst, freundliche Menschen, abends ein preiswertes Hotel und ein super Essen. Wir könnten jahrelang so weiterradeln.

Abendessen in Loreto

Schon im Morgengrauen verlassen wir am nächsten Morgen Loreto, denn jetzt steht unsere absolut längste Etappe an: Fast 160 Kilometer sind es nach Ciudad Constitución, Topographie wie gehabt. Die ersten 30 Kilometer rollen noch ganz gut, trotz leichtem Gegenwind. Es ist vorwiegend flach, von den wenigen Hügeln hat man einen schönen Ausblick auf den Golfo de California und ein paar interessante Inseln (Nationalpark Bahia de Loreto). Doch in Ligüi knickt die Straße ins Hinterland ab und windet sich in die Sierra de la Giganta hinein. Schweißtreibende Sache, die Steigungen sind wirklich giganta, und auf den nächsten 30 Kilometern, für die wir vier Stunden brauchen, stoßen wir fast an unsere Leistungsgrenze. Selbst das schöne Panorama mit schroffen Schluchten und Tafelbergen kann da nicht entschädigen; erst nach ein paar Leberwurst-Tortillas kommt ein bisschen Energie zurück, und die brauchen wir dringend für den jetzt gewaltigen Gegenwind.

in der Sierra Giganta

Später führt dann eine schöne, lange Abfahrt in das Valle Santo Domingo hinunter, eine flache, sandige Senke riesigen Ausmaßes. Doch der Gegenwind bläst so stark, dass man auch bergab noch kräftig treten muss. Und er trocknet dermaßen den Körper aus, dass wir schon am Nachmittag fast unsere ganzen zehn Liter Trinkwasser verbraucht haben. Gottseidank kommt nach 110 Kilometern endlich ein kleiner Laden, wo uns ein Pacifico-Bier und ein Cola wieder auf die Beine stellen.

Ringsum wird jetzt eifrig Landwirtschaft betrieben. Tiefe Bohrungen haben Jahrtausende alte Grundwasserseen angezapft, die den Anbau von Mais, Weizen und Baumwolle ermöglichen. Auf dem weiteren Weg nach Ciudad Constitución (die letzten 25 Kilometer nach scharfer Linkskurve tatsächlich mit Rückenwind) sehen wir viele große Haciendas, und die Maispflanzungen sehen frisch, grün und gesund aus. Der Verkehr ist kräftig, und in den Strom der Trucks und PKWs mischen sich auch zahlreiche landwirtschaftliche Fahrzeuge.

Ciudad Constitución gefällt uns gut. Eine breite, baumbestandene Avenida mit vielen Geschäften ist die zentrale Achse. Wir steigen für zwei Nächte ab im Hotel "El Conquistador", denn es ist mal wieder ein Bankbesuch und Wäschewaschen angesagt. Und im Supermarkt gibt es doch tatsächlich Chili in Dosen. Keine Frage, da wird zum Abendessen der Gaskocher ausgepackt.

Ciudad Constitución

Nach Erledigung unserer Bankangelegenheiten (komisch, wir müssen zu drei Banken, keine will mehr als einen Traveller Cheque einlösen) fragen wir im Hotel nach dem Tourist Office. Jetzt im Winter soll nämlich die beste Zeit sein, um in den Küstenlagunen Wale zu beobachten, die von den kalten Gewässern Alaskas hierher kommen, um ihren Nachwuchs zu kriegen und aufzuziehen. In der Frühstückskneipe treffen wir die beiden Rucksacktouristen Eddy und Alena aus Grand Junction / Colorado, die das auch gern sehen würden. Vielleicht können wir eine kleine Whale Watching Tour arrangieren?

Wir beschließen also, gemeinsam ein Taxi zu mieten und nach Puerto Adolfo López Mateos hinauszufahren, wo sich im schmalen Kanal zwischen dem Festland und der Isla Magdalena häufig Wale aufhalten sollen. 600 Pesos kosten Hin- und Rückfahrt, one way immerhin mehr als 60 Kilometer. Zuerst aber muss der Fahrer tanken; ich glaube, in Lateinamerika sind wir bislang noch nie in einem vollgetankten Taxi gesessen – die Konkurrenz ist hart und die Fahrer leben so halb von der Hand in den Mund. Dann jedoch rumpelt der alte Dodge Aspen zügig nach Norden. Ist eine tolle Kiste, innen baumelt eine Glühbirne von der Decke, der Tacho tut nicht, dafür jedoch der Kassettenrecorder um so lauter. Außerdem hat das Auto vier verschiedene Reifen sowie drei unterschiedliche Radkappen (die vierte fehlt), die Lampengläser sind durch Plexiglas ersetzt, und zwischen Stoßstange und Karrosserie sind alte Zeitungen eingeklemmt, damit es nicht so klappert.

In López Mateos mieten wir dann ein kleines Boot, das uns zu den Walen hinausbringen soll. Doch wir sehen leider keinen einzigen, obwohl wir ein ganzes Stück weit bis ins offene Meer hinausfahren. Offensichtlich ist es im Dezember doch noch zu früh, am besten soll es im Februar sein, da könne man die Wale fast vom Boot aus streicheln, wie wir hören. Dafür sehen wir eine Menge Wasservögel, eine Schule von Delfinen, die wirklich fast auf Streicheldistanz ans Boot herankommen, sowie, da staunen selbst wir, auf einer kleinen, sandigen Insel einen prächtigen Kojoten. Der muss irgendwann mal bei Ebbe hierher geschwommen sein – von was der sich wohl ernährt? Doch bald wird uns das klar: Ein Fischerboot liegt dort am Ufer, die Fischer zerlegen ein paar kleine Haie und der Kojote wartet auf die Abfälle. Aus Whale Watching wird also Kojoten-Sightseeing. Ist auch ganz interessant; man muss flexibel bleiben. Dann bringt uns unser Taxista, der während des Wartens mit einer einzigen Tasse Wasser sein ganzes Auto gewaschen hat, zurück nach Ciudad Constitución.

220 Kilometer trennen uns jetzt noch von La Paz. Um 8.00 Uhr kommen wir weg am nächsten Morgen und kurbeln auf unendlich langer, bolzengerader Straße nach Süden. Die letzten Landwirtschaftsflächen liegen bald hinter uns, es wird wieder eintönig, Gegenwind. Auf solchen Etappen dauert es immer eine Weile, bis wir richtig in die Gänge kommen; erst nach einer Microonda-Orangen-Kekspause wird es besser.

Kaum Besiedlung gibt es heute, auch fast keine geeigneten Pausenplätze. Zu Mittag muss eine kleine Kapelle herhalten, wo wir wenigstens an der Außenmauer die Räder anlehnen können. Fast alle Autos halten hier; der eine bringt eine Kerze, einer opfert der Madonna eine Orange, ein anderer gießt die Bäumchen ringsherum, selbst die Trucker halten kurz und bekreuzigen sich.

Highway-Kapelle

80 Kilometer dauert es heute bis zur ersten Bar. Rancho Rosita heißt sie; ich gehe hinein, kaufe ein Bier und eine Cola. "Ah, Gonso Uvex!" grüßt mich die Maid drinnen erfreut. Was ist das wieder für ein Spanisch? Bis ich begreife: sie hat die Brands von meinem Trikot und meinem Helm abgelesen. Na, ist doch eine wesentlich nettere Begrüßung als "Hola, Gringo", oder?

Bald sind Gonso Uvex und Gattin wieder auf der Rolle. Ab sofort halten wir Ausschau nach einer guten Campinggelegenheit, denn Accomodations sind heute keine zu erwarten und 220 Kilometer mit Gepäck, das packen wir doch nicht ganz an einem Tag. Bei Kilometer 111 werden wir dann findig: die Wirtin des Cafés Penjamo erlaubt uns, am Zaun unser Zelt aufzustellen. Sehr gemütlich ist es hier; das Restaurant besteht aus einer Palmenwedelhütte, von etlichen Pflanzen eingewachsen, daneben die gemauerte Küche, aus der es lecker herausduftet. Tochter Alejandra und Sohn Pablo weichen nicht von unseren Fersen, bis wir das Zelt aufgestellt und uns eingerichtet haben. Alejandra will wissen, wo wir herkommen, und als ich sage "Alemania", fragt sie, ob wir von dort bis hierher geradelt sein. Doch ich erkläre ihr, dass zwischen Alemania und America ein Agua grande liege – hoffentlich hat sie mein Volkshochschul-Spanisch auch verstanden. Dann sitzen wir noch eine Weile lesend in der Palmenhütte, bis es Essenszeit ist. Die Kids sitzen derweil in Papas Jeep und horchen Stereoanlage.

Später essen wir Quesadillos und Burritos, dazu Chips und eine Flasche Pacifico, schmeckt hervorragend. Pünktlich um 19.00 Uhr werden jedoch alle Luken verrammelt und die Wirtschaft hat geschlossen. Wir dürfen aber zwei Plastikstühle mit hinausnehmen und sitzen dann noch gut zwei Stunden vor dem Zelt und betrachten den Sternenhimmel, an dem man sich nie stattsehen kann. Vor dem Einschlafen muss ich noch kurz aufs Klo, einem gemauerten Häuschen mit zwei Türen über dem Hof. Man kann jedoch nur das Damenklo benützen, denn bei den Herren pennt der kleine Wirtshaus-Köter in der Schachtel mit dem gebrauchten Klopapier. Ob er deshalb so ein braunes Fell hat? Bald schlafen auch wir hervorragend – eine Zeltnacht unter Méxicos Sternenhimmel ist einfach durch nichts zu ersetzen, wenngleich auch die Dusche schmerzlich vermisst wird.

Am nächsten Morgen gibt es die besten Huevos Rancheros unserer sämtlichen México-Etappen. So wird es fast 10.00 Uhr, bis wir endlich wegkommen. Und im Rückspiegel sehen wir noch nach einem Kilometer Pablo und Alejandra winkend an der Straße stehen.

Der Tritt bleibt frühstücksbedingt schwer bis mittags. Zudem haben wir wieder meistens Gegenwind und die Landschaft ist sehr wellig; wir queren unzählige Vados, Arroyos undsoweiter. Ringsum wird es aber langsam grüner; Kakteen begleiten uns zwar fast bis La Paz, aber dazwischen sprießt jetzt im Winter sogar saftig grünes Gras, für uns umso verwunderlicher, denn seit wir in México sind hat es keinen Tropfen geregnet.

im Anflug auf La Paz

Bei Kilometer 35 überqueren wir einen kleinen Pass, und plötzlich tritt wieder der Golfo de California ins Bild, sattblau, in weiter Ferne noch, aber ein unbeschreiblich schöner Anblick. Wir genießen ihn vor der freundlicherweise exakt auf der Passhöhe befindlichen Kneipe bei einem Bier bzw. Cola. Dann rollen wir, leider immer noch mit Gegenwind, hinunter in die grünen Gefilde der Peripherie von La Paz.

Mit sämtlichen Vorort-Kötern auf den Fersen erreichen wir die Stadt zügig auf einer vierspurigen Schnellstraße. Gleich zwei Blocks hinter der Uferpromenade finden wir das gemütliche Hotel Lorimar. Schnell, runter mit den Stinkeklamotten! Beim Duschen produzieren wir dann eine unglaublich dreckige Brühe, die schwarzgrau-seifig in den Abfluss rinnt.

Zum Abendessen kochen wir mal wieder selber, die letzte Chili-Dose, dazu Tortillas. Dann machen wir einen ausgedehnten Abendspaziergang am Strand entlang.

Abendstimmung in La Paz

Es ist wunderbar warm, man braucht selbst jetzt im Dezember weder Jacke noch Faserpelz, und lange schauen wir noch von einem Straßencafé aus zu, wie die Mexikaner mit den unterschiedlichsten Fahrgeräten (vom Uralt-Amischlitten über den neuen BMW bis zum Gammel-Pickup und zum BMX-Rad) über den Paseo Alvaro Obregon cruisen.

Eigentlich wäre unsere Baja-California-Etappe damit zu Ende. Von La Paz aus (bzw. vom Vorort Pichilingüe) gehen die Fähren zum Festland hinüber, nach Topolobampo oder Mazatlán. Längst haben wir uns für den Flieger entschieden, und das ist gut so, wie wir am nächsten Tag denken müssen. Wir radeln nämlich tatsächlich nach Pichilingüe hinaus und schauen zu, wie die rostigen Fährschiffe und Seefrachter be- und entladen werden. Offensichtlich kaufen die Mexikaner abgelegte skandinavische Schiffe auf, auf einem jedenfalls ist der Name "Cimarron, La Paz" auflackiert, während man drunter noch "Mediterranean Explorer, Kobenhavn" lesen kann. Zwei radelnde Canadier, die eine Menge Gepäck dabeihaben und auch runter nach Argentinien wollen, stehen schon seit Tagen hier und warten auf ein Stand-By-Ticket. Da hängen wir doch wirklich lieber noch ein paar Tage durch hier, zumal die Strände traumhaft sind, die Pizza vom Feinsten und La Paz eine Stadt ist, der man auch auf den zweiten Blick einen gewissen Flair nicht absprechen kann.

La Paz

Trotzdem wollen wir, wie immer, auch noch gerne wissen, was am Ende der Straße kommt. Erst am Cabo San Lucas ist die Baja California zu Ende, und da unsere verbleibende Zeit nicht zum Hinradeln reicht, mieten wir eben bei Budget ein Käferlein.

Um 8.00 Uhr am nächsten Morgen können wir den Wagen übernehmen. Schön ist er, ganz neu, hat erst 3800 Kilometer auf dem Tacho. Innen sieht er aus wie in deutschen Käfer-Zeiten, gemütlich, aber spartanisch einfach, jedoch mit guten Sitzen und sogar mit Wegfahrsperre. Die Laufkultur des Motors ist am besten mit "nicht vorhanden" zu beschreiben; es raspelt dermaßen im Heck, dass wir ab 80 immer denken, gleich fliegt alles auseinander. Lenkung, Pedale, Schaltung – alles brutal schwergängig, ein Auto für Gewichtheber. Aber er läuft und läuft und läuft immer noch, und zügig fetzen wir aus der Stadt hinaus Richtung Süden, dummerweise aber auf der falschen Straße, was wir mangels Beschilderung jedoch erst nach 30 Kilometern merken. Linker Hand taucht nämlich plötzlich das Meer auf, womit wir auf der geplanten Route jetzt eigentlich nicht gerechnet hätten.

Also, wieder zurück. Nach einigen Irrfahrten finden wir die Mex 1 dann doch noch und reihen uns ein in einen kräftigen Strom aus Bussen, Trucks, amerikanischen Wohnmobilen und ausgeleierten Pickups, die alle zu den Cabos wollen. Es rollt sehr gut auf meistens erstklassigem Belag, doch bei jedem zweiten Vado muss man auf eine sandige Desviación ausweichen, weil der wahrscheinlich einzige Regenfall des Jahres den Asphalt weggerissen hat. Anstatt ein Brückchen zu bauen oder wenigstens einen Steindamm mit ein paar Rohren durch schütten die Mexikaner einen Damm aus Sand auf, der wahrscheinlich genau bis zum nächsten Regenfall hält. Gute Beschäftigungstherapie – Sisyphus lässt grüßen.

Nach San Pedro gabelt sich die Straße. Wir entscheiden uns für die gebirgige Ostroute Richtung San José del Cabo und sind plötzlich fast allein auf der Straße. Die Landschaft ist sehr schön, es gibt hier Berge von über 2000 Metern, dazu alles saftig grün, wie wir es hier im Süden der Baja kaum erwartet hätten. Die Straße gleicht einer Achterbahn, und immer wieder gibt es einen Mirador mit weitem Panoramablick.

In El Triunfo machen wir einen kleinen Rundgang. Hier wurde bis in die 20er-Jahre Silber abgebaut, und um die letzte Jahrhundertwende war das mit 10.000 Einwohnern die größte Stadt auf der Baja. Heute bleibt ein romantisches Ghost-Town-Feeling. Einige der alten Ziegelhäuser sind aber nett gerichtet, auch der Schornstein der Silberschmelze steht noch.

Am frühen Nachmittag erreichen wir San José del Cabo; von dort bis Cabo San Lucas rollen wir auf einer Art Autobahn. Hier gibt es sehr viele Touristeneinrichtungen, unter anderem eine ganze Anzahl von Golfplätzen, für die selbst auf der trockenen Baja genügend Wasser vorhanden zu sein scheint. Wahrscheinlich kriegen dafür die Bauern weniger oder keines.

In Cabo San Lucas erinnern die Tourismus-Auswirkungen fast ein bisschen an Südspanien (Torremolinos), doch es hat auch ganz sympathische Ecken. Wir lassen uns bei allerschönstem Abendlicht von einem Wassertaxi hinaus zum Kap schippern, wo unter dem berühmten Felsenbogen zwei Meere zusammenkommen, die Sea of Cortez und der Pazifik.

Cabo San Lucas

Ganz draußen ist noch ein schroffer Felsen, auf dem ein Seehund hockt. Das ist dann ganz offiziell das Ende der Halbinsel Baja California. Und für uns ist genau hier "the end of the trail". Mit dieser Bootsfahrt findet mal wieder eine wunderbare Etappe ihren erfolgreichen Abschluss. Dann fahren wir, während die Sonne vollends untergeht, an der Pazifikküste entlang zurück nach La Paz.

"Como México no hay dos!" – Sowas wie México gibt’s nicht zweimal, hat mal einer der europäischen Conquistadores gesagt; war’s Hernán Cortés, oder gar Christoph Columbus? Egal – wir stimmen zu! Und jetzt freuen wir uns auf das ganz andere Ende bzw. den Anfang der Straße, drüben auf dem Festland! Hasta la vista!

 

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